Begegnungen

 Wir begegnen Menschen nicht durch Zufall. Sie sind kreuzen unsere Wege aus einem bestimmten Grund. 
Daran glaube ich ganz fest. Die Menschen die im Laufe eines Lebens so unsere Pfade kreuzen, tun das aus verschiedenen Gründen. Manche haben nur einen kurzen Auftritt, manche bleiben für immer. Manche lehren dich etwas, manche sind ein Segen, manche ein Fluch. Aber irgendwie kann man doch immer etwas aus Begegnungen mit Menschen lernen. Was ich in den letzten Jahren so gelernt, die Menschen die ich getroffen habe, ihre Geschichte die sich irgendwann mit meiner Geschichte verknüpft haben, davon erzähle ich euch hier:

Chillen mit Khan


(links: Khan und ich beim Einkaufen)


Khan war mein Nachbar in Freetown. Er wohnte zusammen mit drei Freunden in einem kleinen Bunglow nebenan. Meine Mitbewohnerin und Freundin Sarah und ich saßen oft nach Feierabend oder am Wochenende bei unseren Security Jungs vor unserem Tor. Haben das Leben auf der Straße vor uns beobachtet. Manchmal mit ner Flasche Wein, Chips oder Schokolade. So saßen wir oft stundenlang und haben mit unseren Jungs diskutiert. Sie haben uns viel erzählt, vom Leben in Sierra Leone, wie es ist wenn man im Busch aufwächst, wie es im Krieg war oder während der Ebola Zeit. Und so kam es, dass unsere kleine Gruppe immer größer wurde. Einige Nachbarn haben sich angeschlossen und wir hatten eine Gesprächsgruppe von 10-15 Leuten. So habe ich Khan näher kennengelernt. Als ich ihn noch nicht so richtig kannte, dachte ich von ihm, dass er einfach nur ein Partykönig und Super-Kiffer ist. Ok, das ist er auch, aber er ist auch noch viel mehr.

Khan ist 30 Jahre alt, studiert irgendwas IT-mäßiges und wird gesponsert von seinem Daddy. Der ist nach Amerika ausgewandert und verdient dort genug Geld um Khan, seine Geschwister, Ehefrau und sonstige Familienmitglieder zu unterstützen. Khans Geschwister sind alle mit dem Vater in den USA um dort eine Ausbildung zu machen. Nur Khan und seine Mutter sind noch in Sierra Leone. Khan, weil er das Leben dort liebt. Seine Mutter wohnt im Landesinneren um dort für die Großeltern zu sorgen. Daddy bezahlt die Miete für den Bungalow und gibt noch ordentlich Taschengeld, ach und das Studium bezahlt er auch.  So ein Schmarotzer, könnte man denken. Ja, ihm gehts ganz gut für Salone Verhältnisse. Aber er gibt auch weiter. Seine drei Freunde Fouday, Morrison und Designer 

haben weder Job noch Geld und er lässt sie bei sich wohnen und sorgt dafür, dass jeden Tag was zu Essen da ist. Er hat mir mal gesagt: Weißt du, wenn man ein bisschen was hat, dann gibt man das weiter. An Menschen die nichts haben. Irgendwann kommt vielleicht mal die Zeit, da haben deine Freunde mehr als du und dir gehts nicht gut. Dann werden sie dir helfen. Ich habe mehr als genug, warum sollte ich sie nicht unterstützen. Also der Khan, der hat ein gutes Herz. Ein bisschen versteckt auf den ersten Blick, aber es ist da. Khan und ich sind oft auf das Dach seines Bungalows geklettert, Musikbox dabei, er seine Tütchen und ich ne Flasche Wein. Und dann haben wir den Ausblick auf die Stadt unter uns und den fernen Blick aufs Meer genossen. Haben der Sonne beim Untergehen zugesehen und bis tief in die Nacht geredet oder einfach nur Musik gehört. Manchmal hatten wir die Gesellschaft von Sarah und den anderen Jungs. Wir haben auf diesem Dach wirklich lustige Stunden verbracht. 

Meine Nachbarjungs sind mir wirklich ans Herz gewachsen. Am Tag meiner Abreise haben sie mich, zusammen mit Sarah, zum Flughafen gebracht. Auf der Fähre hat plötzlich ein Junge nach mir gerufen. Sheriff, 12 Jahre alt. Einer meiner Straßenjungs. Schon beim ersten Blick habe ich gesehen, dass er wieder von der Familie abgehauen ist und auf der Straße lebt. Wir haben uns ein bisschen unterhalten und ich habe ihn Khan vorgestellt. Der hat direkt zu ihm gesagt: "Hey, du weisst doch wo Tante Becky gewohnt hat. Ich wohne direkt daneben, mein Name ist Khan. Wenn du Hilfe brauchst oder weg von der Straße willst, dann kannst du jeder Zeit zu mir kommen, ich werde dir helfen." Tja, so ist er, mein Kifferfreund Khan. In ihm steckt echt ein guter Kerl, auch wenn er das nicht gerne zugibt.

Was ich von diesem kiffenden Partykönig gelernt habe? Entschleunigung. Mal die Beine lang strecken und einfach nur rumsitzen. Das Leben nie zu ernst zu nehmen und es zu geniessen. Egal wie kacke die Lage gerade ist. Nimm mal nen Gang raus. Verringere das Tempo und setz dich irgendwo hin und seh der Sonne beim Untergehen zu. Wo soll der Sinn sein, durch's Leben zu hetzen. Eine Pause ab und zu, das ist absolut erlaubt. Manchmal muss man einfach nur chillen.

Danke Khan, für tolle Stunden, für deine Begleitungen bei meinen Einkäufen (hab viel Geld gespart durch deine Tipps), für ganz viel Spaß und deinen Rat manchmal im ersten Gang zu fahren. 

Küchendienst mit Mariatu


(links: Mariatu und ich auf der Dachterrasse)


Mariatu ist eines der Kinder, die ich ziemlich am Anfang kennengelernt habe. Sie ist 14 Jahre alt und hat wochenlang auf der Straße gelebt. Wie sich Mädchen da durchschlagen, darauf möchte ich hier jetzt nicht weiter eingehen. Jedenfalls ist Mariatu ein ganz stilles Mädchen. Sie redet nicht viel. Sie lacht auch selten. Nachdem ich sie schon ein paar Wochen kannte, kam ich eines Tages in die Küche und sie hatte Küchendienst. Sie war allein und hat Geschirr gespült, Tische abgewischt und den Boden gefegt. Ich habe ihr angeboten zu helfen und so kam es, dass wir beide erst stillschweigend nebeneinander her gearbeitet haben. Irgendwann habe ich mich auf eine der Bänke gesetzt und ihr gesagt: " wir machen jetzt mal ne Pause". Ich habe uns zwei Tüten Wasser geholt und so saßen wir uns auf den harten Holzbänken gegenüber. Irgendwann habe ich sie gefragt ob es ihr gut geht und ob sie klar kommt. Da hat sie angefangen zu weinen. Ich habe ihre Hände in meine genommen und sie erstmal richtig weinen lassen. Und dann, endlich, hat sie sich geöffnet. Sie hat mir erzählt, dass sie nicht weiß, wer ihr Vater ist, sie hat ihn nie getroffen. Sie ist bei ihrer Mutter aufgewachsen. Bis diese irgendwann verrückt geworden ist. Nach Sierra Leone Glauben, wurde sie verflucht, verhext, irgendsowas. Ich bin kein Psychologe, aber ich glaube, irgendwas hat sie halt durchdrehen lassen. Psycho-Schub, Depression, keine Ahnung, spielt auch keine Rolle. Jedenfalls hat Mariatu  mit ihrer verrückten Mutter zusammen gelebt. Sie wurden von Familie, Freunden und Nachbarn geächtet, weil die Mama ja verflucht ist. Somit hat Mariatu keine Freunde, keine Familie, sie ist, bis auf die Mutter allein gewesen. Bis die Mutter eines Tages komplett den Verstand verloren hat und losgerannt ist. In den Busch. Und von dem Tag an, hat sie keiner mehr gesehen. Vielleicht ist sie schon tot. Das war der Tag an dem Mariatu auf die Straße ging. Was blieb ihr anderes übrig um zu überleben. Naja, irgendwann haben wir sie aufgegabelt und sie verbrachte viele Monate bei uns im Kinderhaus. Bis zu dem Tag in der Küche, wusste niemand so richtig was eigentlich mit ihr los war. Aber an dem Tag ist der Knoten geplatzt, zufälligerweise bei mir und nicht bei ihren vielen Gesprächen mit ihrer Sozialarbeiterin. Ihre Geschichte hat mich wirklich mitgenommen. Nachdem sie sich einigermaßen beruhigt hatte, hat sie mich angesehen und zu mir gesagt: " du bist so schön, ich wünschte, ich wäre so halb so schön wie du". Ich habe sie angesehen und ihr geantwortet:" du bist ein sehr hübsches Mädchen, du bist jung, schlau, kannst lustig sein, bist clever". Ich wollte nicht, dass sie sich wünscht jemand anderes zu sein. Ich habe sie gefragt, warum sie denkt, dass sie nicht schön ist. Sie hat mir gesagt:" weil meine Mutter mir von klein auf jeden Tag gesagt hat, wie hässlich ich bin. Und eine Last". Da habe ich dann auch angefangen zu heulen. Was zum Teufel musste diese Kinderseele in ihren ersten 14 Jahren schon aushalten. Ich hab sie in den Arm genommen und wir saßen dann noch eine Weile schweigend nebeneinander. An dem Tag habe ich nicht weiter mit ihr geredet, ich wollte, dass sie erst zur Ruhe kommt und wusste, wenn sie bereit ist, dann wird sie wieder zu mir kommen und reden. Und das hat sie auch getan. Und bei jedem unserer Gespräche haben wir zuerst unser Mantra aufgesagt. Das habe ich für sie geschrieben und sie musste mir versprechen, dass sie jeden Morgen den Zettel nimmt und laut vorliest: Ich bin schön, ich bin intelligent, ich bin witzig, ich bin clever, ich habe eine tolle Persönlichkeit. Ich bin eine echte Schönheit. 

Und das tut sie seit dem tatsächlich jeden Tag. Mariatu und ich hatten eine ganz besondere Verbindung. Nur bei mir hat sie sich geöffnet und ich bin froh, dass sie es getan hat. Denn im Laufe der Monate hat sich Mariatu verändert. Ich habe sie oft lachen sehen, tanzen, singen, sie hat viel geredet. Der Abschied von ihr war schwer. Wirklich schwer. Sie gehört zu den Kindern, die den direkten Durchmarsch in mein Herz gemacht haben. Am liebsten würde ich sie nach Deutschland holen und ihr ein Leben geben. Ich habe selten ein so tolles Mädchen getroffen.

Was ich von Mariatu gelernt habe? Verschiedenes. Zum Beispiel, welche Wirkung Worte haben können. Sei achtsam mit dem was du sagst. Du kannst Menschen verletzen und du kannst dauerhafte Schäden anrichten. Nur mit bloßen Worten. Und ich habe gelernt, dass es wichtig ist, ab und zu, oder öfter, anderen Menschen zu sagen, was man toll an ihnen findet. Was sie wertvoll macht. Besonders. Man muss Menschen loben, ihnen gut zusprechen, sie ermutigen. Worte können so viel bewirken. Wir sollten versuchen, dass sie Gute bewirken und nicht Schmerzen verursachen.

Danke Mariatu, ich vermisse dich jeden Tag!

Frau sein mit Zainab


(links: Zainab und am Strand)


Zainab ist eine von den sieben Erzieherinnen bei meiner Arbeit. Zainab ist anders als die meisten Frauen die ich in Sierra Leone kennengelernt habe. Zainab hat keine Angst ihre Meinung zu sagen. Zainab ist diejenige, die zu mir gekommen ist und mir gesagt hat, wenn ich was falsch gemacht habe. Oder wenn es einen anderen Weg gab. Sie hatte keine Angst, ihrem "Boss" zu sagen, wenn er falsch lag. Sie hatte keine Angst einem Weißen zu sagen was er zu tun hat. Leider ist sie damit eine große Ausnahme. So oft ich es auch versucht habe, für die meisten Sierra Leoner sind Menschen mit weißer Hautfarbe gottähnlich. Und sie würden sie nie in Frage stellen. Das ist total traurig. Ich konnte zum Glück die meisten überzeugen, dass sie mit mir immer reden konnten und ich gerne ihre Meinung hören wollte. Aber so ganz ging es doch nie weg, dieses unterwürfige Verhalten. Ich hoffe, das ändert sich bald.

Jedenfalls war Zainab von Anfang an diejenige, die oft bei mir im Büro saß, stundenlang haben wir geredet und diskutiert und so ziemlich viel vom Andern erfahren. Wir sind Freunde geworden und wir sollten im Laufe der 13 Monate ganz schön viel zusammen erleben und durchleben. 

Eines Tages kamen wir auf das Thema Beschneidung von Frauen zu sprechen und ich habe sie nach ihrer Meinung gefragt. Und dann hat sie mir ihre Geschichte erzählt und die ist unfassbar traurig.

Zainab hatte schon immer einen eigenen Kopf, schon als Kind. Und sie war schon immer gegen die weibliche Beschneidung. Sie hat noch zwei Schwestern, die jeweils im Alter zwischen 10 und 14 beschnitten wurden. Zainab nicht. Sie hat es tatsächlich geschafft, sich zu wehren. Und das ist echt nicht einfach. Denn sie musste sich nicht nur gegen ihre Eltern durchsetzen, auch gegen ihre Schwestern, die gesamte Familie und auch gegen ihre Freundinnen. In Sierra Leone gibt es die Bondo Society, das ist der geheime Verbund der Frauen. Und wer da rein will, tja der muss beschnitten sein. Wer nicht drin ist, tja, der wird verbannt, beschimpft, verstoßen, Freunde wenden sich von dir ab. Die Familie schämt sich für dich. Und einen Ehemann zu finden ist nahezu unmöglich. Zainab hat das Alles auf sich genommen. Sie hat es nicht zugelassen und ihr ganzes Leben dagegen gekämpft. Sie hat es irgendwann geschafft einen Mann zu finden der sie trotzdem geliebt und geheiratet hat. Sie hat 5 gesunde Kinder zur Welt gebracht, zwei Jungs, drei Mädchen. Die Mädchen hat sie nie beschneiden lassen. Obwohl die das von sich aus wünschten. So stark ist der Glaube und alles was mit dran hängt, dass die meisten Mädchen das von sich aus wollen. Weil sie Angst vor dem haben, was kommt wenn sie es nicht tun.

Ich war total stolz auf Zainab und hab ihr das auch gesagt, auch wie mutig sie ist. Und stark. Sie meinte dann nur: " warte, meine Geschichte ist noch nicht zu Ende".

Dann hat sie mir erzählt, dass es bei der Geburt ihres letzten Kindes Probleme gab und sie ins Krankenhaus musste. Normalerweise gebähren die meisten Frauen zuhause. Sie hat also ihr letztes Kind im Hospital zur Welt gebracht und als die Krankenschwestern gesehen haben, dass sie nicht beschnitten ist, haben sie sie während der Geburt einfach beschnitten. Während sie mit großen Schmerzen da lag und Dank all der Wehen und dem Pressen gar nicht gemerkt hat, was da vor sich ging, haben die Schwestern ihr die Klitoris und die Schamlippen entfernt. Zainab hat es erst später nach der Geburt gesehen. Ist das unfassbar? In Deutschland undenkbar. Jemand schneidet dir einfach, ohne deine Zustimmung oder dein Wissen, Körperteile ab. Sie meinte dann nur: " siehst du, mein ganzer Kampf war umsonst". Nein Zainab, das war er nicht. Du hast deine Meinung und deinen Willen vertreten. Du hast es geschafft, nicht beschnitten zu werden, einen Mann zu finden, deine Mädchen sind nicht beschnitten. Du hast gekämpft und was dann passiert ist, das lag wirklich nicht in deiner Hand. Das ist unfair. Das ist verdammt traurig und es tut mir leid. Aber Zainab, du hast damit deinen Kindern vorgelebt, dass man sich wehren kann, das es sich lohnt zu kämpfen, selbst wenn es am Ende doch anders ausgeht. Aber es ist ein Unterschied ob man es erst gar nicht versucht. Du bist stark Zainab. Und was ich von dir gelernt habe? Wie dankbar ich sein kann, dass ich über meinen Körper selbst entscheiden kann. Viele Frauen auf dieser Welt können das nicht. Und ich bewundere deine Stärke und deine Kraft. Meine liebe Freundin Zainab, ich vermisse unsere Gespräche jeden Tag.


Verurteilung mit Hawanatu


(links: Jonathan und Salman)


Hawanatu ist ein 12jähriges Mädchen das ich in den Slums von Freetown kennengelernt habe. Sie ist 12 Jahre alt, geht aber locker für 15 oder 16 durch. Sie ist sehr groß und ziemlich weit entwickelt. Ohne auf Details eingehen zu wollen, kurz ihre Geschichte, sie ist von zuhause abgehauen weil sie immer geschlagen wurde. Sie landete auf Freetowns Straßen und hat sich dort mit einer Freundin durchgeschlagen. Die Freundin hat sie mitgenommen zu einem Mann nach Hause. Wo sie unterkommen konnten, Essen bekamen. Aber natürlich gab es das nicht umsonst. Sie hat mit ihm geschlafen. Sie sagt, sie wollte es nicht, hat sich aber auch nicht gewehrt. Wie auch immer, sie ist 12 Jahre alt, er ein Mann Mitte 30. Er hat sie vergewaltigt und er gehört bestraft. Und jetzt kommen wir zu der Geschichte die ich eigentlich erzählen will. Ich war mit ihr im Krankenhaus, zum Glück keine Krankheiten und auch nicht schwanger. Dann waren wir bei der Polizei um Anzeige zu erstatten. Insgesamte saßen wir da so ca. 8-10 Stunden, da ist man echt kurz vorm wahnsinnig werden. Das war auch noch zu Ramadan Zeiten, also der Beamte hat sich alle Stunde auf den Boden geschmissen und erstmal gebetet. Das geht natürlich vor. Die Befragung kann warten. Oh Mann. Ich muss nicht extra betonen, es waren um die 40 Grad, keine Klima, kein Fenster, kein Wasser, kein Essen. Naja, wir haben es überlebt. Nachdem wir endlich fertig waren mit der Anzeige und der ganzen Fragerei, hat der Typ sie gefragt ob sie das Haus wieder finden würde. ja, würde sie. Also sind sie los um den Mann festzunehmen. Ich durfte nicht mit, wenn da noch ne Weisse mitkommt weiss er gleich dass was nicht stimmt und haut ab. Ok, das akzeptiere ich, aber wenigstens durfte mein Freund Jonathan mitgehen. Ich wollte nicht, dass sie allein mit den Polizisten durch die Slums muss. Und auch nicht, dass sie dem Täter allein gegenüber steht. Das nimmt man in Sierra Leone nicht ganz so ernst. Täter und Opfer nebeneinander auf der Bank. Ja ist halt so, stell dich nicht so an.

Ich hab also in der Polizeistation gewartet bis sie zurück kamen.  Und kurz darauf traf die ganze Truppe wieder Revier ein, 4 Polizisten, der Täter, das Opfer, mein Freund Jonathan und Salman. Jo stand plötzlich vor mir und hat mir den Jungen in die Arme gedrückt, ich schätze Salman ist so ungefähr ein Jahr alt. Verdutzt habe ich gefragt:" und wer ist das jetzt?" Das ist Salman, der Sohn des Täters. Ja gut und was macht der jetzt bei mir? Ich war echt ein bisschen überfordert. Der Chief hat mich dann aufgeklärt, die Mutter ist unauffindbar und der Junge wächst beim Vater auf. Da der Vater jetzt in den Knast wandert kann der Kleine ja kaum alleine zu Hause bleiben. Da ich das ganze Theater wegen dem bisschen Sex angezettelt habe, soll ich mich jetzt um den Jungen kümmern. Oder der wandert mit dem Vater in die Zelle. Äh, ok. Also erstmal, das war nicht ein bisschen Theater wegen Sex, das Mädel ist 12 Jahre alt. Und dann, was soll ich jetzt mit dem Jungen, ich kann den nicht einfach mitnehmen. Die Polizisten waren der Meinung, nicht ihr Problem, entweder ich nehme ihn mit oder er geht mit in den Knast. Ok, also das auf gar keinen Fall. Wie es in nem afrikanischen Gefängnis zugeht kann sich jeder selbst denken. Also haben Jonathan und ich den Kleinen mitgenommen. Der hat überhaupt gar nichts kapiert. Papa weg und jetzt ist er bei ner Weißen aufm Arm, die irgendwie gruselig aussieht, so ganz weiß. Er hat geschrien was das Zeug hielt. Und das hat die nächsten Stunden auch nicht aufgehört. Eine Betreuerin hat es schliesslich geschafft ihn zu beruhigen. Salman war so ungefähr 2 Monate bei uns. Am Anfang durfte ich nicht in seine Nähe. Nach ein paar Tagen wollte er nicht mehr von mir weg. Ich hab ihn den halben Tag mitgeschleppt, er saß bei mir im Büro wenn ich arbeiten musste oder war mit mir unterwegs. Die restliche Zeit haben die übrigen Kinder sich um ihn gekümmert. Die fanden das total toll, so ein Baby um das sie sich kümmern konnten. Salman ist aufgetaut und hat sich am Ende richtig wohl gefühlt bei uns. Er hat uns adoptiert. Bis eines Tages die Polizei mit der Mutter da stand. Die Mutter ist Prostituierte und bereits wieder im 7. Monat schwanger. Kann sich kaum selbst ernähren. Und jetzt sollte unser Salman zu ihr ziehen. Er hatte seine Mutter zum letzten Mal bei seiner Geburt gesehen. Die Frau war eine völlig Fremde. Aber was blieb mir übrig. Ich musste ihr den Jungen übergeben. Ich wusste da schon, der wird niemals zur Schule gehen, mit viel Glück hat er jeden Tag eine Mahlzeit. Als die Mutter ihn nehmen wollte hat seine kleinen Ärmchen um meinen Hals gelegt, sich festgeklammert und geschrien wie am Spieß. Mein Herz wollte zerspringen, er hat geweint, ich hab geweint und Alle um uns herum auch. Er ist uns allen so ans Herz gewachsen und dann mussten wir ihn mit dieser Frau gehen lassen. Wie sehr das weh getan hat, kann ich kaum beschreiben. 

An dem Abend habe ich lange mit meinen Kollegen geredet. War das Alles richtig was ich gemacht habe? Hätten wir nicht lieber dem Mädchen helfen sollen in die Zukunft zu sehen, sie zur Schule schicken, und ihr helfen die Vergangenheit zu vergessen. War es richtig, den Mann in den Knast zu bringen? Also,nicht falsch verstehen, klar, er hatte Sex mit einer 12jährigen, der Mann gehört hinter Gitter. Aber eine Entscheidung in einem solchen Land zu treffen ist ander als in Deutschland. Weil im Gegenteil zu Deutschland hängt dort viel mehr an einer Entscheidung. Da hängen Existenzen dran. Ich habe also dafür gesorgt, dass der Mann in den Knast wandert. Er kommt da auch nicht mehr raus. Sein Leben wird er dort verbringen, bis er stirbt. Damit wächst Salman ohne Vater auf, der für ihn wirklich gesorgt hat und ihn geliebt hat. Er wird nie genug zu Essen haben und wenn er krank wird, ist kein Geld für's Krankenhaus da. Zur Schule wird er auch nie gehen. Er wird dabei zusehen wie die Männer bei seiner Mutter für ein paar Euros ein und aus gehen. Vielleicht setzt sie ihn auch irgendwo aus oder verkauft ihn. Als Menschenopfer oder Sklave. Also, die Gerechtigkeit für Hawanatu bringt gleichzeitig da Ende eines einigermaßen guten Lebens für Salman mit sich. 

In Sierra Leone gibt es seit 2018 ein Gesetz bei Sexualverbrechen, die Täter kommen lebenslang ins Gefängnis. Egal welche Art Verbrechen. Auf den ersten Blick erscheint das wirklich gut. Aber, nehmen wir mal an, ein 15jähriges Mädchen verliebt sich in einen 16jährigen Jungen. Die beiden sind glücklich und haben dann auch irgendwann Sex miteinander. Die Eltern des Mädchens finden das heraus, oder sie wird schwanger. Die Eltern gehen zur Polizei. Dann wandert dieser Junge in den Knast. Und er kommt nie wieder raus. Nie wieder.

Ihr versteht was ich sagen will? Dieses Gesetz ist scheisse. Weil manchmal sind die Umstände nicht wie es zu sein scheint. Manchmal landen Unschuldige im Knast. Und dort verbringen sie den Rest ihres Lebens, keine Chance jemals wieder rauszukommen.

Es gibt keinerlei Abstufungen. Sex-Delikt, Knast Lebenslang. Ende der Durchsage. 

Also jedenfalls hatte ich sehr sehr lange mit dieser Geschichte zu kämpfen, ich wollte Gerechtigkeit für Hawanatu aber ich wollte nicht Salmans Leben zerstören. Entscheidungen zu treffen in Sierra Leone, das ist wirklich nicht einfach und oft dauert es lange bis man sich von so einer Entscheidung erholt. Ich wollte, ich hätte diese Entscheidung niemals treffen müssen. Das war einfach zu viel Verantwortung über fremde Leben. 

Ich hoffe und bete für Salman. Ich wünsche mir wirklich, dass er noch am Leben ist und es ihm einigermaßen gut geht. 

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