Sierra Leone 2021 - ?

  • Sierra Leone 2.17 - Der Baum

    Sierra Leone 2.17 - Der Baum


    Folgt .... very soon

  • Sierra Leone 2.16 - Gedanken

    Sierra Leone 2.16

    Was soll ich denn auch immer schreiben? Für euch ist Alles was ich erlebe etwas Besonderes, Abenteuer. Für mich ist das mein ganz normales Leben. Soll heißen, es ist schwierig für mich auszusortieren was euch vielleicht interessiert und was nicht. Also ich sitze gerade mit Kapuzenjacke und Jogginghose aufm Balkon, ihr würdet wahrscheinlich in Shorts und Top hier sitzen. Mich bringt alles unter 20 Grad zum schlottern.

    Es ist Sonntag Abend, 18:46 Uhr und in 14 Minuten geht die Sonne unter. Das ist jeden Tag so, ich kann hier nach der Sonne leben, so genau funktioniert das hier. Und jeden Morgen um Punkt 7 geht sie wieder auf. Mein Wochenende war eigentlich ganz gut, in Summe hatten wir nur so 8 Stunden Stromausfall in 2 Tagen, fantastisch! Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, dass sich in DE jemand über ein paar Minuten Strom-weg aufregt. Ehrlich gesagt, kann ich mir gar nicht vorstellen mich in DE über irgendwas aufzuregen. Ich glaub ich bin so abgestumpft, wüsste wirklich nicht was mich noch wirklich nerven könnte. 

    Meine letzten Wochen waren ein bisschen anstrengend. Unsere Mädchen haben ihre Ausbildung beendet und wir mussten den Abschlusstag vorbereiten. Gleichzeitig haben wir die Interviews der neuen Mädchen beendet. Die neue Gruppe startet am Mittwoch. Wieder 30 Mädchen die darauf hoffen, nach der Ausbildung eine Stelle als Kellnerin oder Küchenhilfe zu bekommen. Wir nennen unsere Mädel ‚Dream Girls‘. In einem Land in dem es für Mädchen eigentlich keinen Platz für Träume gibt. Immer noch ist es schwer für mich zu begreifen, wo die Mädels hier in ihrem Leben so durch müssen. Und es muss immer weiter gehen. Keiner fragt sie je wie es ihnen geht. Was ihre Wünsche sind. Wenn ich eines gelernt habe in den letzten Jahren dann ist das tiefe Dankbarkeit. Für die kleinen Dinge. Dass ich zur Schule gehen durfte. Dass ich mir mein Leben aussuchen durfte. Dass ich immer von zuhause Unterstützung bekommen habe. Dass wir immer zu essen hatten, fließendes Wasser und Strom. Ich musste meine Hausaufgaben nicht spätabends nach getaner Arbeit unter einer Strassenlaterne machen. Ich konnte mit 7 Jahren ziemlich perfekt lesen. Wenn ich hier ein 16 jähriges Mädchen frage mir was vorzulesen ist das wirklich schlimm. Die Qualität der Schule ist so schlecht, die Lehrer so unmotiviert, mein 7jähriger Neffe liest so viel fließender und besser als jemand hier der in die 10. Klasse geht. Es gibt natürlich auch bessere Schulen, internationale Schulen. Für die Reichen. Aber die Mehrzahl der Kinder erhalten eine sehr dürftige Ausbildung oder gar keine. 

    Manchmal ist mein Kopf so voller Fragen, so voller Zeug, dass ich denke er platzt gleich. Bei deiner Geburt bekommst du eine Karte. Vielleicht ziehst du die 7 und ziehst zwei weitere Karten. Oder du ziehst die 8 und setzt aus. Und das zieht sich dann durch dein Leben. Du profitierst immer ein bisschen mehr als andere Menschen auf der Welt. Oder du setzt ständig aus und bist auf der Reservebank. Man kann auch mit einer 8 noch was erreichen aber das bedeutet 10x mehr Anstrengung als für andere. 

    Ist das nicht unfair.

    Sollten nicht Kinder auf der Welt die gleichen Karten erhalten. Sollten sie nicht überall auf der Welt Kinder sein, Schule, spielen, lernen, glücklich sein. Die Kinder die ich hier überall sehe klopfen Steine. Schleppen schwere Wasserkanister zu ihren Hütten. Verkaufen Tomaten auf dem Markt. 

    In meinem ersten Jahr in Sierra Leone hat mich das noch jedes mal erschüttert. Heute ist es Alltag und ich finde es nicht normal, dass deutsche Kinder im Haushalt nicht helfen müssen. 

    In meiner täglichen Routine vergesse ich manchmal, wie arm dieses Land ist. Und dann erzählt mir neulich eine Ärztin, dass sie auf der Suche nach einer neuen Katze ist. Weil Leute ihre vorherigen zwei Katzen geklaut und gegessen haben. Die Menschen sind so hungrig, dass sie Katzen klauen und essen. Oder Taxifahrer streiten mit ihren Passagieren um nicht mal 10 Cent. Oder Mädchen und Frauen verkaufen ihren Körper für einen Teller Reis. 

    Ich weiß, dass auch in Deutschland immer mehr arme Menschen leben. Aber das ist eine ganz andere Dimension. Wenn Mütter ihre Babies vorm Krankenhaus ablegen in der Hoffnung, dass jemand sie findet und ernähren kann. Weil sie es nicht können. 

    An 90% aller Tage kann ich wirklich mit Allem sehr gut umgehen. Und an den übrigen 10% da will ich schreien. Wirklich. Da will ich so laut schreien, dass mich jeder auf der Welt hört. So laut, dass all diese nutzlosen Paris Hilton’s und Heidi Klum’s dieser Welt mich hören. Manchmal ist mein Kopf so voll, dass ich nicht weiß wohin mit meinen Gedanken. Früher habe ich oft mal nach nem Glas Wein geweint. Ich habe schon lange nicht mehr geweint. Weil Wut die Tränen verdrängt hat. Ehrlich gesagt, ich weiß gar nicht mehr wie weinen geht. Manchmal versuche ich mich zum Weinen zu bringen, mit nem Glas Wein und trauriger Musik. Nicht mal das wirkt mehr. Und ich weiß, dass ich eigentlich weinen sollte, weil so viel Leid in meinem Kopf und Herz ist, das muss irgendwie raus. Aber ich habe scheinbar vergessen wie das geht.

    Ich sitze hier auf meinem Balkon mit einem Glas deutschen Wein (nicht zu fassen, dass es in Freetown Wein aus Baden gibt) und beobachte das Treiben um mich herum. Meine Slum People sind noch beschäftigt mit verkaufen, kochen, Wäsche waschen. Unglaublicher Verkehr mit Dauer-Hupen. Und dann stelle ich mir mein Schwarzwald Dörfchen vor. Wie schön ruhig es da ist. Und diese gute, reine Schwarzwald Luft. Es stinkt nicht nach Abgas, Autoreifen verbrennen, Fisch oder Fäkalien. Die meisten vermuten ich vermisse solche Dinge wie Käse, Fleisch, Nutella, Wurst, etc.

    Ne echt nicht. Was ich wirklich vermisse ist, mit offenem Fenster in meinem kleinen Schwarzwald-Dorf schlafen. Das riecht so gut. Das ist ein Geschenk. Oder Jahreszeiten, das vermisse ich auch. Oder frieren und eingekuschelt in dicke Bettdecken einschlafen. Ich vermisse Unbeschwertheit. Einfach so ein ganz normales Leben, ohne diese Last auf meinen Schultern. Ich weiß echt nicht woher das kommt, dass ich denke, ich muss das hier machen. Ich kann einfach mein Gehirn nicht abschalten. Ständig drehen sich Gedanken um irgendein riesiges Problem. Armut, Ungerechtigkeit, Klimawandel, Hunger, Vergewaltigung. Mein Hirn läuft auf Dauerstrom. Oft wache ich Nachts auf weil mir irgendwas einfällt, irgendeine Idee mit der ich vielleicht etwas verändern könnte. Gott, das ist so anstrengend. Ich will mal für nur eine Woche völlig unbeschwert sein. Aber das kann ich nicht mehr. Nicht, seitdem ich die andere Seite so gut kenne. 


    Und dann ist da noch das Land an sich. Nicht die ganzen individuellen Schicksale. 

    In der Schule lernen wir wie wichtig Gewaltenverteilung ist. Wie das in Deutschland funktioniert. Und für uns ist das Alles so selbstverständlich, dass niemand wirklich darüber nachdenkt. Trennung von Legislative, Exekutive und Judikative. Theorie. Es wird in unser Hirn gepresst als Wichtig, aber in dem Alter verstehen wir wirklich was das bedeutet? In der Theorie ist Alles oft einfach nur Zeug, Zeug das man halt wissen und schätzen muss. Aber wirklich nachdenken darüber tut kaum einer. 

    Sierra Leone ist eine Demokratie. Auf dem Papier. In der Realität macht jeder was der Präsident will. Er beeinflusst Gerichte, befehligt die Armee, macht die Gesetze. Es gibt ein Parlament, eine Opposition, aber in der Wirklichkeit bestimmt er über Alles. Wer es wagt zu demonstrieren oder negativ über den Präsidenten zu reden, tja der verschwindet eines Tages von der Bildfläche und wird nie mehr gesehen. Wenn Menschen protestieren, demonstrieren, ihre Meinung sagen wollen, tja, dann kommt die Armee und knüppelt oder schießt sie nieder. Letztes Jahr haben es welche versucht, die Soldaten haben 21 Menschen die demonstrieren wollten einfach niedergeschossen. Es wurde ermittelt und das Ergebnis: Terror, Bedrohung des Friedens, bla bla. Terror? Wie denn, die Menschen hatten nicht mal Waffen. Gewaltenteilung. Ein so hohes Gut. Ich weiß es wertzuschätzen, schon immer, aber seit ich hier lebe umso mehr. Eine Demokratie die wirklich eine ist und nicht nur auf dem Papier, ich bin so dankbar für mein Heimatland. 

    Ich lebe in einem Land in dem es keine Konsequenzen gibt. Keine Regeln. Nur auf dem Papier aber in real kann hier jeder machen was er will solange er nicht schlecht über die regierende Partei und den Präsidenten redet. Es ist so chaotisch. Und so anstrengend. Oft ist man in Deutschland genervt wenn Nachbarn sich über Ruhestörung beschweren und auf ihr Recht pochen. Ja nervt manchmal. Aber hier gibt es keine Regel für Ruhestörung. Was bedeutet, dass ich jeden Morgen mit Moschee Geschrei um 5 Uhr aufwache. Was bedeutet, dass die Kirche nebenan 3 x die Woche solchen Lärm macht, von morgens 7 bis spät Abends, das stellt jedes Rockkonzert in den Schatten. Und es ist nicht schöner Gesang. Es erinnert stark an Exorzismus. Menschen schreien ins Mikrofon und beten das Blut Jesu an. Ehrlich, manchmal bin ich kurz davor diese Kirche abzubrennen. 

    Ein Land ohne Regeln und Konsequenzen. Es ist so furchtbar anstrengend. Keine Verkehrsregeln. Keine Gerechtigkeit für vergewaltigte Mädchen. Kein Gesetz zum Schutz von Mädchen, dass ihnen nicht die halbe Vagina weggeschnitten wird. Es ist laut. Es stinkt. Es tut weh. In der Seele.

    Leben in einem Land in dem es in der Politik nicht um Politik oder Menschen geht, sondern nur um Macht und Geld ist grausam und ziemlich schwer zu ertragen. Weil es sich auf jedes kleine Detail im Leben eines Menschen auswirkt. 

    Genug gejammert für heute. Nicht Alles ist schlecht hier. Es gibt auch schönes und die Menschen sind liebenswürdig und sehr herzlich. Es ist sicher. Ich habe mich noch nie bedroht gefühlt. Ich fahre am Wochenende alleine mit dem Kekeh Nachts nach Hause und mach mir null Gedanken, dass mir etwas passieren könnte. Das Land ist sicher. Für mich. Als Weiße. Als Ausländerin. Es ist nicht sicher für die Menschen die hier geboren sind.


     


  • Sierra Leone 2.15 - How to save a life

    Sierra Leone 2.15 – How to save a life 

    Ich bin gerade nach Hause gekommen und hab meine Speakerbox (weiß das deutsche Wort nicht) 

    angeschmissen. iPod auf willkürliche Wiedergabe und welches Lied wird gespielt? ‘How to save a life’ von 

    The Fray, akustik version. Wer’s nicht kennt, hört es euch an, sehr schönes Lied, bestimmt verfügbar auf 

    Youtube. 

    Ja also, ich höre dieses Lied und es passt so perfekt zum Tag. Ich erzähle euch heute zwei Geschichten, die 

    irgendwie miteinander verbunden sind. Isata und Mariam. 

    Ich habe den halben Tag in einer langweiligen Konferenz verbracht, die erste nationale 

    Gesundheitskonferenz in Sierra Leone. Okay, ich muss zugeben, es ist wichtig alle Menschen 

    zusammenzubringen die in dem Sektor arbeiten und zu informieren was im Land vor sich geht, wo 

    Entwicklung notwendig ist und wo die Herausforderungen liegen. Ich bin einfach nicht sehr gut in 

    stundenlangem Dasitzen und Zuhören. Die zweite Hälfte des Tages habe ich mir erspart, morgen und 

    Samstag geht’s weiter. 

    Im Krankenhaus wartete so viel Arbeit auf mich, also habe ich mich nach der Hälfte verdrückt. Nach ein 

    paar Emails und kurzen Meetings mit Mitarbeitern wurde es Zeit für meine Runde. Ich versuche jeden Tag 

    eine Runde durch alle Stationen zu drehen, nach den Patienten zu sehen. Im speziellen meine Fistula 

    Patienten. Sie sind mir die Liebsten. Diese Frauen sind so unglaublich. Ich verliebe mich jedesmal wenn 

    neue Fistula Mädchen und Frauen eintreffen. Sie sind speziell. Ganz speziell. Vielleicht macht ihre 

    Vergangenheit sie so speziell. Am Anfang schüchtern und deprimiert. Aber nach ein paar Tagen öffnen sie 

    sich, schöpfen Vertrauen. Ich denke, ich habe schon ein paar mal über Fistula geschrieben, aber nochmal 

    zur Auffrischung: 

    Fistula wird in 80% der Fälle durch eine verlängerte, blockierte Geburt verursacht. Die Wehen starten, der 

    Körper leitet die Geburt ein. Und dann gibt es ein Problem. Das Baby steckt im Geburtskanal fest. Der Kopf 

    des Babys wird immer wieder gegen das Becken gepresst. Weichteile, die zwischen dem Kopf des Babys 

    und dem Beckenknochen eingeklemmt sind werden komprimiert und schränken den Blutfluss ein. 

    Abschnitte des gesamten Gewebes sterben ab und hinterlassen Löcher zwischen der Vagina und der Blase 

    oder dem Rektum. Diese Löcher verursachen Inkontinenz. Die Frau verliert für den Rest ihres Leben Urin 

    oder Stuhl, oder manchmal beides. Das nennen wir Fistula. Das Baby stirbt. Meistens erleben Frauen in 

    ihren frühen Zwanzigern so eine Geburt. Das bedeutet sie wird den Rest ihres Lebens unter Inkontinenz 

    leiden. All das passiert wenn Frauen keinen Zugang zu medizinischer Hilfe haben, ein einfacher 

    Kaiserschnitt kann eine Fistula verhindern. Die Frauen leben aber in einem Dorf tief im Busch. Kein Zugang 

    zu Krankenhäusern. Ebenso wenig wie Zugang zu Windeln oder Binden. Sie verwenden Stoffe die sich 

    zwischen die Beine klemmen. Das wiederum bedeutet, sie riechen und sie sind ständig nass. Sie werden 

    von der Gesellschaft verstossen. Von Ehemännern aus dem Haus vertrieben. Ihre Gemeinschaft schämt 

    sich. Viele glauben fest daran, dass Fistulas durch Hexenkraft verursacht werden. In den Industrieländern 

    kommt das heute kaum oder gar nicht mehr vor. In ärmeren Ländern trifft es täglich Tausende von Frauen 

    und Mädchen. Für die meisten Frauen bedeutet Fistula ein Leben in Einsamkeit. Depression. Armut. Sehr 

    häufig werden sie komplett von der Gesellschaft ausgeschlossen. Und hier beginnt die Geschichte von Isata. 

    Ich verbringe den Tag mit Meetings und Vorträgen über die Entwicklung des Gesundheitssystem in Sierra 

    Leone. Herausforderungen. Veränderungen. Eigentlich wollte ich direkt danach nach Hause gehen aber 

    irgendwas hat mich doch nochmal ins Krankenhaus gezogen. Ich habe heute noch keine Runde gedreht und 

    nach meinen Ladies gesehen. Also hole ich das jetzt nach. Direkt im ersten Zimmer, in dem 10 Fistula 

    Patienten liegen, finde ich zwei Frauen die bitterlich weinen. So ein Weinen bei dem direkt mit weinen 

    muss. So ein herzzerreissendes Weinen. Ich setze mich zu der ersten Frau aufs Bett. Sie fängt an zu reden 

    und ich verstehe kein Wort. Sie spricht nur ihre Stammessprache. Ich hole eine Krankenschwester zu Hilfe 

    und die übersetzt. Isatat ist schätzungsweise Ende 40, sie sieht viel älter aus, aber das ist hier normal, das 

    Leben kennzeichnet die Gesichter der Menschen. Ich erfahre, dass sie seit über 20 Jahren mit Fistula lebt. 

    Sie kommt aus Guinea, viele unserer Patientinnen kommen aus Nachbarländern, wir sind das einzige 

    Krankenhaus das Fistula behandeln kann. Isata hat ein Kind. Als sie zum zweiten Mal schwanger war, gab es 

    Komplikationen, sie hat das Baby verloren und dafür eine Fistel entwickelt. Als ihr Mann realisiert hat, dass 

    sie für den Rest ihres Leben inkontinent sein wird hat er sie aus dem Haus gejagt. Ihr Dorf hat sie 

    verstossen. Seitdem lebt sie im Busch. Die Bewohner ihres Dorfes geben ihr Essen, gerade genug um am 

    Leben zu bleiben. Sie verbringt jeden Tag im Busch, allein. Wenn es dunkel wird darf sie ins Dorf 

    zurückkehren und im Haus ihres Mannes schlafen. Sobald die Sonne aufgeht, muss sie zurück in den 

    Dschungel. Und so lebt Isata. Jeden Tag. Jeden Monat. Jahr für Jahr. Über 20 Jahre lang. Dann erzählt 

    jemand ihr vom Aberdeen Women’s Centre. Und dass sie dort Frauen wie ihr helfen können. Hoffnung 

    erwacht. Große Hoffnung. Ist da wirklich jemand der ihr Leben verändern könnte. Sie bettelt über Monate 

    hinweg bis sie genug Geld zusammen hat um sich auf den Weg nach Freetown zu machen. Und tatsächlich, 

    sie schafft es bis zu uns ins Krankenhaus. Krankenschwestern machen die erste Untersuchung und 

    bestätigen, ja das ist Fistula. Das ist was wir hier operieren. 

    Und dann untersucht der Arzt Isata. Und er erklärt ihr, dass ihre Fistula inoperable ist. Und da bricht ihre 

    Welt komplett zusammen. Ihre Hoffnung auf ein anderes, besseres Leben, überhaupt ein Leben, zerplatzt 

    wie eine Blase. Und so finde ich sie. Weinend. Voller Angst. Angst zurückzukehren in ihr Dorf. Wo alle 

    denken, dass Hexenkraft ihre Krankheit verursacht hat. Und nun, da selbst westliche Ärzte ihr nicht helfen 

    können, ist das eine Art Bestätigung. Da ist nicht viel was ich sagen kann. Eigentlich kann ich gar nichts 

    sagen. Es gibt keine Worte die das reparieren können was in ihr zerstört wurde. Sie hatte sich mit ihrem 

    Leben abgefunden. Irgendwie. Und dann kam die Hoffnung. Und jetzt geht es ihr schlechter als zuvor. Da 

    ich keine Worte finde, lege ich mich einfach zu ihr auf’s Bett. Da liegen wir, sie in meinen Armen, halbnackt, 

    Windel voll. All das merke ich nicht mal weil mittlerweile weine ich mit. Die übrigen Patienten beobachten 

    das Ganze aus der Ferne. Nach einer Stunde hat sie sich etwas beruhigt und eine Krankenschwester löst 

    mich ab. 

    Ich gehe weiter und spreche mit Mariam. Mariam ist 27. Auch sie hat durch eine komlizierte, lange Geburt 

    eine Fistula entwickelt. Und dabei ihr Baby verloren. Auch ihr Ehemann hat sie verstossen. Jetzt ist sie 

    allein. Das denkt sie jedenfalls. Und dass nie mehr ein Mann sie auch nur anrühren wird. Und dass sie nie 

    Mutter sein wird. In Afrika bedeutet das, keine Frau zu sein. Ich verbringe mit ihr einige Zeit und versuche 

    ihre Tränen zu trocknen. Irgendwann rate ich ihr: ‘weißt du was, lass es einfach raus. Weine. Ich liege mit 

    dir im Bett und halt dich und du weinst einfach so lange wie du weinen musst.’ Nach einer knappen Stunde 

    hat sie sich beruhigt. Ich verspreche am nächsten Tag wieder zu kommen. 

    Wortlos nehme ich meine Tasche und gehe nach Hause. Und da weine ich dann. Weil ich so sehr mit diesen 

    Frauen mitfühlen kann. All ihre Hoffnung auf ein Leben mit einem Schlag zerstört. Ich kann wirklich mit viel 

    umgehen und bin ziemlich hart im Nehmen. Wie schlimm Geschichten aus sein mögen, ich kann es 

    ertragen. Weil ich meinen Weg gefunden habe. Fokus auf die Zukunft. Was aber wenn es keine gibt? Damit 

    kann ich überhaupt nicht umgehen. 

    How to save a life – wie rettet man ein Leben 

    Glücklicherweise können wir über 80% aller Fistulas behandeln. Und wenn die Frauen geheilt sind, dann 

    feiert das ganze Krankenhaus. Sie bekommen neue Kleider, Haare werden gemacht, Make-up. Eine Gruppe 

    von Trommlern begleitet unser Fest. Und wir tanzen. Frauen, die wieder GANZ sind. Die wieder Frauen 

    sind. Nach Unterricht in Schreiben und Lesen und Rechnen, Skill trainings in Handarbeit und anderen 

    nützlichen Arbeiten, gehen die Frauen nach Hause zurück und mit ihren neu erlernten Fähigkeiten können 

    sie ein kleines Business eröffnen und für sich selbst sorgen. Ich bin ‘totally in love’ mit meinen Fistula 

    Patientinnen. Diese Frauen haben so viel hinter sich. Und sie sind so liebevoll und dankbar. Und ich liebe es, 

    wenn wir einfach Spaß haben und mal für einen Moment all die Sorgen vergessen und alles raustanzen. 

    Geschätzte 2 Millionen Frauen auf der Welt leiden unter Fistula. Aber was wir nicht vergessen dürfen, 

    hinter jeder Statistik steht eine Frau oder ein Mädchen die leiden. Eine Frau wie deine Mutter, Schwester, 

    Tante oder Freundin. Ein Mädchen wie deine Tochter. 

  • Sierra Leone 2.14 - Internationaler Frauentag

    Sierra Leone 2.14 - International Women’s Day 

    Angefangen den Bericht am Weltfrauentag zu schreiben, heute erst beendet, daher zeitlich ein bisschen hin 

    und her. 

    Wir feiern heute internationalen Frauen Tag. Was heisst das eigentlich? Was feiern wir denn? Die Frauen? 

    Die Gleichberechtigung? Empower Girls and Women. Bei uns heisst das erstmal dass heute nationaler 

    Feiertag ist und wir müssen nicht arbeiten. Witzig, dass ausgerechnet ein Land das Mädchen und Frauen so 

    wenig achtet den Tag zu einem Feiertag erklärt. 

    Ich arbeite in einem Krankenhause für Mädchen und Frauen (hauptsächlich). Ein Nebenprodukt ist unser 

    Projekt mit Teenager Müttern die unser Ausbildungszentrum besuchen. Ein 6monatiges Programm für 

    jeweils 30 Teenager Mädels die zum ersten Mal Mutter geworden sind. Mädchen zwischen 16 und 19 

    Jahren die bereits ein Kind grossziehen müssen. Das sind nicht die jüngsten Mütter die bei uns ihr Kind zur 

    Welt bringen, das jüngste Mädchen dieses Jahr war 13 und ist kein Ausnahmefall. Aber die jüngeren sind 

    noch nicht so weit einen Beruf zu erlernen. 

    Ich möchte so gerne mehr erreichen für Frauen und Mädchen in diesem Land, weil ich jeden Tag sehe wie 

    schwer sie es haben. Mädchen sind das Ende der Kette. Sie werden vergewaltigt, geschwängert, aus der 

    Schule genommen um zu arbeiten. Arbeiten als Prostituierte. Werden geschlagen. Mit HIV und anderen 

    Krankheiten infiziert. Ich möchte das Ganze mit einem Schlag beenden. Aber das geht nicht. Und auch 

    wenn’s hart ist, das muss ich irgendwie akzeptieren. Also das große Ganze ist nur in keinen Schritten 

    erreichbar. Darum versuche ich in kleinen Schritten Mädchen zu unterstützen. Unser Krankenhaus ist 

    wichtig, der sicherste Ort um ein Kind zu gebären im ganzen Land. Der einzige Ort im ganzen Land an dem 

    Frauen mit Fistula geheilt werden. Unsere Patientinnen kommen übrigens auch aus den Nachbarländern 

    Guinea und Liberia. 

    Ich möchte den Weltfrauentag zum Anlass nehmen euch ein paar meiner Schwestern (hier sind wir alle 

    Schwestern und Brüder und alle sind miteinander verbunden) vorstellen. Mädchen und Frauen deren 

    Geschichte ich erzählen möchte, weil ihre eigene Stimme zu leise ist um in der Welt gehört zu werden. 

    Nene 

    Nene war Teil der ersten Gruppe von Frauen deren Fistula operiert wurde. Das war vor fast 20 Jahren. 

    Leider war ihr Fall so kompliziert, dass eine vollständige Heilung nicht 

    möglich war. Nene wurde von ihrem Mann und ihrer Familie 

    verbannt, sie lebte jahrelang isoliert irgendwo im Busch als ein Team 

    von Krankenschwestern sie fand. Zu wenig zum Leben, zu viel zum 

    Sterben. Immer wieder haben Spezialisten versucht ihre Fistula zu 

    reparieren, es wurde besser aber sie braucht immer noch eine 

    Windel. Nene wurde von unserer Organisation unterstützt und bekam 

    etwas Startkapital um ein kleines Business zu eröffnen. Sie hat zwei 

    Kinder aufgenommen und großgezogen. Als die Kinder groß genug 

    waren haben auch sie Nene aus dem Haus vertrieben. Zu groß die 

    Schande, das Stigma Fistula ist in Sierra Leone groß. Ende letzten 

    Jahres hat sie, wieder allein auf der Welt, ihren Weg zu uns ins 

    Krankenhaus gefunden. Wieder einmal. An ihrem Gesundheitszustand 

    können wir nichts mehr ändern. Sie weiß nicht, wohin sie gehen soll. 

    Sie hat niemanden auf der Welt. Ihr Leben lang verstossen. Als sie bei 

    uns vor der Tür stand haben wir sie erstmal aufgenommen. Das war 

    vor 3 Monaten. Sie ist immer noch bei uns. Ihr Zuhause ist ein 

    Krankenbett. Sie nimmt an unserem täglichen Unterricht für Fistula 

    Patienten teil. Sie spricht weder Englisch noch Krio. Kaum jemand 

    spricht ihre Stammessprache. Also kann sie auch kaum kommunizieren. Aber sie lacht immer und hat 

    immer gute Laune. Vielleicht weil sie das erste Mal in ihrem Leben von jedem akzeptiert wird. Also lebt 

    Nene jetzt mit uns. Wie lange? Das weiss keiner, weil sie ist uns ans Herz gewachsen. Und keiner bringt es 

    über’s Herz ihr zu sagen, dass sie gehen muss. 

    Happy Weltfrauentag Nene! 

    Blessing 

    Blessing wurde von ihren Eltern verstossen 

    als sie noch ein Kleinkind war und ist bei 

    ihrer Großmutter aufgewachsen. Ihre Oma 

    hat sie sogar zur Schule geschickt und 

    Blessing’s Leben lief nicht schlecht. Dann 

    lernte sie mit 16 einen Jungen kennen der sie 

    geschwängert hat. Natürlich ist er 

    abgehauen und sie stand schwanger und 

    allein da. Ihre Großmutter war so enttäuscht 

    von ihr, dass sie ihre Schulgebühren nicht 

    mehr bezahlt hat und sie zum arbeiten 

    gezwungen hat. Blessing hat ihr Baby im 

    Alter von 17 Jahren bei uns zur Welt 

    gebracht. Schnell haben wir gemerkt wie 

    schlau Blessing ist. Ein wirklich cleveres 

    Mädel. Also war die Entscheidung sie in 

    unser Programm aufzunehmen schnell 

    gefällt. Blessing war die Beste unter den 30 

    Mädchen und hat nicht einen einzigen Tag 

    gefehlt. Immer motiviert und sie hat hart 

    gearbeitet. Blessing war bei allen Mädels und 

    den Lehrern sehr beliebt und für Alle war 

    klar: Blessing wird die Rede bei der Abschlussfeier halten. Sie hat uns mit ihrer Ansprache alle zum Weinen 

    gebracht. Lernt man Blessing kennen, lernt man sie lieben. In einem anderen Land würde sie jetzt Abitur 

    machen. Oder eine Ausbildung. Oder anfangen zu studieren. Hier hatte sie das große Glück, im einzigen 

    Krankenhaus im Land zu gebähren, das ein Programm für Teenager anbietet. Nach 6 Monaten Schule 

    beginnen alle unsere Mädchen ein 3monatiges Praktikum in einem Restaurant, einem Schneider, einem 

    Frisör. Blessing hat einen Platz in einem sehr guten Restaurant ergattert und sie hat 3 Monate hart 

    gearbeitet. So hart, dass ihre Chefs sehr beindruckt von ihr waren. Sie haben ihr einen Arbeitsvertrag als 

    Kellnerin angeboten. In Deutschland ist das ein nicht sehr beeindruckender Beruf. Aber in einem Land in 

    dem es keine Jobs gibt, die meisten Erwachsenen arbeitslos sind, in diesem Land als 18jährige einen Job zu 

    ergattern, das ist etwas Besonderes. Wir haben Blessing eine Hand gereicht und ihr geholfen wieder 

    aufzustehen. Was sie bis heute erreicht hat, das hat sie aber ganz alleine geschafft. Ich bin mehr als stolz 

    den Weg von Blessing begleitet zu haben und ich bin so stolz auf sie, dass sie ihre Chance so ergriffen hat 

    und jetzt in der Lage ist sich und ihre Tochter zu ernähren. 

    Happy Weltfrauentag Blessing! 

     

    Kadijah 

     

     

     

     

     

    Kadijah ist 16 Jahre alt als ich sie letztes Jahr am Ostersonntag zum ersten Mal treffe. Sie kommt aus dem 

    Landesinneren und ein Krankenhaus hat mich angerufen und gefragt ob sie zu uns kommen kann. Sie ist 

    nicht sicher wo sie jetzt ist und sie haben dort auch nicht die richtigen Ärzte um ihr zu helfen. Ihre Kondition 

    ist schlecht. Mehr als. Ich stimme sofort zu und sende einen unserer Fahrer und eine Krankenschwester ins 

    4 Stunden entfernte Kambia um sie abzuholen. An diesem Feiertag an dem andere mit ihren Familien ein 

    Oster-Essen geniessen, an dem andere Kinder Ostereier suchen und ihre Geschenke auspacken, sitze ich im 

    Krankenhaus bis spät Abends und warte auf Kadijah. Unsere Sozialarbeiterin arbeitet Sonntags nicht und 

    ich habe entschieden auf sie zu warten und mich zu vergewissern, dass ihr Zustand stabil ist. Als sie 

    ankommt erschrecke ich mich. Sie ist grün und blau am ganzen Körper. Handgelenke und Knöchel sind 

    vernarbt. Ihr Gesicht geschwollen. Ich stelle mich nur vor und versichere ihr, ich bin da. Was immer du 

    brauchst, sag es mir einfach. Ich halte ihre Hand während unser Gynäkologe sie untersucht. Sie ist 

    schwanger. Im 5. Monat. Aber sie blutet. Ihr Blutdruck ist unglaublich hoch. Der Arzt ist in der Lage die 

    Blutung zu stoppen. Sie kommt in unser Überwachungsbett in der Geburtsklinik wo sichergestellt ist, dass 

    sie jede Minute überwacht wird. Ich gehe nach Hause. Als ich am Morgen wiederkomme, hat sich ihr 

    Zustand verschlechtert. Mittlerweile kämpfen 3 Ärzte und unglaublich viele Hebammen und 

    Krankenschwestern um ihr Leben. Sie hat aufgegeben. Wir alle reden ihr zu, beten. Auch wenn sie 

    bewusstlos ist, wir reden uns die Zunge wund. Ich sitze an ihrem Bett, wechsle mich mit zwei meiner 

    Lieblingshebammen, Fasia und Flora ab. Wir halten ihre Hand. 24 Stunden lang. Und dann nochmal 24 

    Stunden. Ich verspreche ihr, wenn sie kämpft, wenn sie mit uns zusammen arbeitet, dann tu ich alles in 

    meiner Macht stehende um sie zurück ins Leben zu führen. Ich verspreche ihr alles Mögliche, ich will 

    einfach, dass sie lebt. Ich fange an zu beten. Tatsächlich bete ich ziemlich oft in diesem Land. Und ich bin in 

    keinster Weise christlich. Aber hier ist manchmal beten das Einzige was bleibt. 

    Nach drei Tagen geht es Kadijah besser, sie ist immer noch unter Beobachtung aber es geht aufwärts. Ich 

    kürze die Geschichte hier etwas ab, in Summe haben wir 10 Tage um Kadijah gekämpft. Es war ein Hin und 

    Her zwischen Tod und Leben. Es ging ihr besser, dann wieder schlechter. Am Ende hat sie es geschafft. Und 

    als es ihr besser geht, fangen wir an zu reden. Und sie erzählt mir ihre Geschichte. Die ist so grausam, dass 

    ich hier nicht ins Detail gehen kann und will. Dass dieses Mädchen lebt, ist ein Wunder. Jahrelang vom 

    Vater missbraucht. Sie hat Familie und Nachbarn erzählt was mit ihr passiert, niemand hat ihr geholfen. Als 

    sie schwanger wurde, hat der Vater sie zu einem traditionellen Hexendoktor in den Dschungel gebracht. 

    Dort wurde sie an Beinen und Armen gefesselt und für Wochen gefangen gehalten. Es wurde versucht ihr 

    Baby abzutreiben. Hat nicht funktioniert. Der Vater hat sie wieder abgeholt und in eine Pension gebracht. 

    Dort hat er entschieden, das Baby selbst abzutreiben indem er ihr immer wieder in den Bauch getreten und 

    geboxt hat. Er sie brutal zusammen geschlagen, bevor sie das Bewusstsein verloren hat, haben ihre Schreie 

    den Zimmernachbarn aufmerksam gemacht und nur ihm hat sie zu verdanken, dass sie heute lebt. 

    Kadijah war 3 Monate bei uns und ich habe jeden Tag Stunden damit zugebracht ihr zuzuhören. 7 Tage die 

    Woche. Ich war bei jedem Polizeiverhör dabei. Ich bin mit ihr und der Polizei in den Busch gefahren um den 

    Hexendoktor zu verhören. Habe die Pension gesehn, das Zimmer in dem ihr Vater sie töten wollte. Das Blut. 

    Und ich habe dem Himmel gedankt, dass sie lebt. Als wir in den Busch und ins Gästehaus gefahren sind, war 

    ihr Vater die ganze Zeit dabei. Kadijah, ihre Sozialarbeiterin, ich und unser Fahrer in einem Auto. Die Polizei, 

    Kadijah’s Anwalt und Mitarbeiter von Don Bosco im anderen Auto. Wir waren immer etwas entfernt um 

    Kadijah den Anblick ihres Vaters zu ersparen. Aber dann, in dem kleinen Dorf tief im Dschungel, zwischen 

    den Lehmhütten, da hat er es geschafft sich unserem Auto zu nähern und hat versucht mit Kadijah zu 

    reden. Das war der erste und einzige Moment in dem ich ausgerastet bin. Und zwar komplett. Unser 

    Anwalt hat mich zurückgehalten, aber ein paar Schläge habe ich doch platziert. Der Arsch war so perplex, 

    dass er sich nicht mal gewehrt hat. Mit Sicherheit war das einer der heftigsten Tage in meinem Leben. 

    Kadijah hat mich immer wieder gebeten, ihr zu helfen das Kind abzutreiben. Sie war sich sicher, sie würde 

    es hassen. Es würde sie jeden Tag daran erinnern, was ihr angetan wurde. Ich konnte ihr nur versichern, 

    dass sie das Baby niemals sehen müsste. Dass ich es sofort wegbringen würde. Aber im 5. Monat kann man 

    kein Kind abtreiben. Nun, Kadijah hat es geschafft. Keiner weiss bis heute wie, aber irgendwann war das 

    Baby tot und sie musste es tot auf die Welt bringen. Ich war bei ihr. Tatsächlich war das die erste Geburt bei 

    der ich live dabei war. Das erste Baby, das ich von der ersten Sekunde gesehen habe. Mit 5 Monaten sieht 

    ein Baby aus wie ein Baby. Nicht wie ein Fötus. Nicht wie etwas undefinierbares. Es war ein Baby. Nur dass 

    es nicht gelebt hat. Ich musste das Baby fotografieren, als Beweis für die Gerichtsverhandlung. Die Fotos 

    habe ich heute noch auf meinem Handy. Keine Ahnung warum ich es nicht übers Herz bringe sie zu löschen. 

    Wirklich kein schöner Anblick. Aber irgendwie fühle ich wie wenn ich die Fotos lösche, dann ist dieses Baby 

    komplett gelöscht. Niemand wird je von diesem Baby wissen. Ansehen kann ich die Bilder nicht, aber 

    löschen auch nicht. 

    Ich bin mit Kadijah durch jedes Polizei Gespräch gegangen. Stunden haben wir verbracht, mit ihren 

    Geschichten. Ich habe nie geweint. Nie gezeigt, dass mich das mitnimmt. Sie war so stark, da konnte ich ja 

    wohl kaum schwach sein. 

    Nachdem Kadijah entlassen wurde, habe ich sie bei Don Bosco untergebracht, einer Organisation die sich 

    um die Kadijahs in diesem Land kümmert. 

    Heute geht sie wieder zur Schule. Nähert sich langsam wieder ihrer Familie an. Manchmal treffen wir uns. 

    Gehen Eis essen, am Strand spazieren. Ich habe nie einen stärkeren Menschen als sie getroffen. Sie hat ihre 

    Geschichte so oft erzählt. Immer wenn ich gesagt habe, lass uns eine Pause machen, hat sie weitergemacht. 

    Ein Jahr später hat sie immer noch das Bedürfnis über all das zu reden. Und immer noch höre ich zu. 

    Kadijah ist mit Abstand die stärkste Person die ich je getroffen habe. 

    Happy Weltfrauentag Kadijah! 

    Victoria 

    Victoria’s Vater hat sie, ihre Mutter und ihre Geschwister vor die Tür gesetzt als Victoria noch klein war. 

    Ihre Mutter hat als Haushälterin gearbeitet, aber irgendwann leider ihren Job verloren. 

    Sie war nicht mehr in der Lage ihre Kinder zu ernähren, geschweige denn, die Schulgebühren zu 

    bezahlen. Victoria, als die Älteste, war gezwungen Geld zu verdienen. Und mit 14 Jahren gibt es nicht 

    viele Möglichkeiten. Sie hat angefangen ihren Körper zu verkaufen, als sie 14 war. 

    Bis sie eines Tages einen Mann getroffen hat, der ihr versprochen hat für sie zu sorgen. Sie ist bei ihm 

    eingezogen, er hat sie ernährt. Und als Sex Sklavin benutzt. Bis sie schwanger wurde. Natürlich hat er 

    sie direkt vor die Tür gesetzt. Da erst wurde ihr klar, er hat sie benutzt, wollte ihr nie wirklich helfen. 

    Und da stand sie nun, Prostituierte, 16 Jahre alt, schwanger. Victoria hat von Freunden von uns 

    erfahren, und dass sie bei uns kostenlos ihr Kind zur Welt bringen kann, jeden Monat zum Check up zu 

    uns kommen kann. 

    Victoria hat einen gesunden Jungen zur Welt gebracht. Und sie ist Teil unseres Förderprogramms für 

    Teenager Mama’s geworden. 

    Victoria hat sich unglaublich angestrengt. Eine unserer besten Schülerinnen. Heute ist sie in einem 

    Restaurant angestellt und hat ein regelmässiges Einkommen. Sie muss nicht mehr ihren Körper 

    verkaufen und kann sich und ihren Sohn ernähren. Victoria ist die erste Person in ihrer 

    Familiengeschichte mit einem Arbeitsvertrag. 

    Ich bin unglaublich stolz auf sie! 

    Happy Weltfrauentag Victoria! 

     

     

    Korea 

    Korea ist 24 Jahre alt, sie sieht viel jünger aus, ich war anfangs überrascht als ich erfuhr wie alt sie ist. Korea 

    ist als Waise aufgewachsen. Bei einer Tante. Anfangs erlaubte die Tante ihr zur Schule zu gehen, aber als sie 

    11 Jahre alt, dachte sich die Tante, dass Korea alt genug ist um zu heiraten. Sie hat Korea verkauft, einen 

    alten Mann. Für 20 Liter Palmöl, 40 KG Nüsse und 4 Euro. Direkt nach der Heirat hat der Mann angefangen 

    mit ihr Sex zu haben. Mit 14 wurde sie dann schwanger. Ihr Ehemann hat sich geweigert sie in ein 

    Krankenhaus zu bringen. Korea lag 4 Tage in den Wehen. Das Ergebnis: Ihre Beine waren paralysiert, sie 

    kann seitdem nicht richtig laufen, ihr Baby war tot und sie hatte eine vaginale und anale Fistula. Das ist die 

    schlechteste Art von Fistula. Keinerlei Kontrolle über Urin und Stuhl. Mit 14 Jahren war ihr Leben vorbei. 

    Gehbehindert, sich einnässend und Kot verlierend. Ihr Mann hat sie natürlich rausgeschmissen, zu gross die 

    Schande. Zu schlimm der Gestank. Nur durch Zufall hat jemand sie an uns verwiesen. Unsere Ärzte konnten 

    sie komplett heilen, sie ist heute trocken. Dass sie Probleme hat beim Gehen, das sieht man noch ein wenig 

    aber nach jahrelanger Physiotherapie funktionieren ihre Beine zumindest so, dass sie keine Gehilfe 

    benötigt. Wir haben Korea als Schneiderin ausgebildet und heute ist sie unsere Schneiderin im 

    Krankenhaus, stets gut gelaunt. Sie ist immer noch sehr schüchtern und es dauert lange bis sie sich öffnet 

    und ihre Geschichte erzählt. Korea ist so süss, man mag sie einfach nur in den Arm nehmen. 

    Happy Weltfrauentag Korea! 

    Wie habe ich den Weltfrauentag verbracht? Ich habe meine Fistula Patienten ins Auto gepackt und bin mit 

    ihnen an den Strand gefahren. Erst haben wir Eis gegessen und dann haben wir einen 4 Stunden langen 

    Spaziergang am Meer gemacht. Für die meisten das erste Eis in ihrem Leben, ich musste erkären, dass man 

    Eis nicht kaut. Und auch das erste Mal Meer. Nach erstem Zögern und etwas Angst haben sich am Ende alle 

    getraut die Füsse ins Wasser zu halten. Da waren wir. Eine Krankenschwester, 13 Fistula Patienten und ich. 

    Füsse im Wasser und ganz viel Spaß! Vielleich, ne eigentlich ganz sicher, war das der beste Weltfrauentag 

    den ich je hatte. Diese Frauen, die nur ihre jeweilige Stammessprache sprechen, mit ihren vollen Windeln 

    und Kathetern und ich am Strand. Irgendwie haben wir uns verständigt. Aber Lachen ist in jeder Sprache 

    gleich. Und gelacht haben wir viel! 

     

     Nachträglich 

     

     ALLES GUTE ZUM WELTFRAUENTAG! FÜR ALLE FRAUEN DIESER WELT! 

    Und eines noch: Unser aller Leben als Frau, ist soviel einfacher, wenn wir statt aufeinander eifersüchtig zu 

    sein, neidisch, missgünstig, uns alle gegenseitig unterstützen! Frauen haben es doch schon schwer genug 

    auf dieser Welt, was wenn wir uns alle als Schwestern unterstützen? Wäre unser Leben nicht viel schöner? 

    Schwestern im Geiste. Ich versuche all diese Frauen und Mädchen zu unterstützen und mit allem was in 

    meiner Macht steht, ihr Leben zu verändern. Im Gegenzug geben sie mir soviel zurück, das ist nicht mit 

    allem Geld dieser Welt aufzuwiegen. 

    An die Frauen unter uns: Seid stolz auf euch! Ich jedenfalls bin es! 

     

  • Sierra Leone 2.13 - Manchmal vergesse ich

    Sierra Leone 2.13 – Manchmal vergesse ich… 

    …wo ich arbeite 

    Ein Krankenhaus zu leiten ist echt anstrengend. Wenn ich die tägliche Zeit addiere die ich für mich 

    habe, um Emails zu bearbeiten, meine Reports zu schreiben, all diese Dinge, dann bleibt vielleicht 

    eine Stunde. Ich betrete das Krankenhaus um 7:30 Uhr. Drehe eine Runde durch alle Abteilungen 

    und wünschen allen einen guten Morgen. Ab 8 Uhr spätestens kommen die ersten Mitarbeiter. 

    Unterschriften, Probleme, private Sorgen, neue Reifen für einen der Landcruiser, Klima im 

    Krankenwagen kaputt, internationale Kollegen waschen nie ihr Geschirr ab, Wasser Notstand, nicht 

    genug Reis für Patienten, ein Todesfall in der Geburtsstation, dringend benötigte Medizin ist nicht 

    verfügbar, Teenager Girls unterrichten, Interviews mit neuen Mitarbeitern führen, Beschwerden 

    über faule Kollegen anhören, Sterilisationsmaschine ist explodiert, Drucker geht nicht, 

    Gehaltsverhandlungen, sitzen mit Patienten und zuhören, ein Baby knuddeln, eine Mutter umarmen 

    die ihres verloren hat, Besuch beim Gesundheitsministerium, Meeting mit der Arbeitsgruppe gegen 

    Gewalt jeglicher Art an Mädchen und Frauen, Besuch bei Gericht um Fälle vorwärts zu treiben, 

    Besuch bei anderen Organisationen um nach ehemaligen Patienten zu sehen, auf den Markt und 

    Obst kaufen, Wasser Rechnung zahlen, Sorgen von Kollegen aufnehmen, Projekte besprechen… 

    Das Alles kann tatsächlich an einem Tag passieren. Manchmal will ich Abends mit niemandem mehr 

    reden, mein Mund ist müde. Und mein Gehirn auch. Manchmal schaff ichs kaum unter die Dusche, 

    geh um 9 Uhr Abends ins Bett. 

    In all dem Alltagsstress vergesse ich manchmal wo ich arbeite, für was ich verantwortlich bin, woran 

    ich Anteil habe. Wirklich. Manchmal vergesse ich es echt und es ist einfach nur ein blöder Bürojob. 

    Und dann, an einem Donnerstag morgen gehe ich aus dem Haus, bin spät dran, schon 5 vor 8. Da 

    stoppt mich ein Soldat (Soldaten gehören zu den Ärmsten, werden mit 20 Euro und einem halben 

    Sack Reis bezahlt) und will mit mir reden. Ein Riese, muskelbepackt. Und er sagt einfach nur: 

    ‘Ich möchte Danke sagen, ich habe heute morgen seit 6:30 vor deinem Haus gewartet um dich nicht 

    zu verpassen. Ich möchte Danke sagen für das, was du für meine Familie getan hast. Meine Frau hat 

    vor 2 Wochen einen Sohn in deiner Klinik zur Welt gebracht. Meine Frau und mein Sohn sind gesund 

    und am Leben. Danke was du für unser Land tust.’ 

    Und mit einem Schlag wird mir bewusst was ich eigentlich da tue. Und dann, an einem Donnerstag 

    morgen um 8 Uhr, fange ich vor einem Soldaten an zu weinen. Er nimmt mich in den Arm, denkt er 

    hat etwas falsch gemacht. Dabei bin ich jetzt ihm dankbar. Weil er mich wieder erinnert hat an das 

    was zählt. Wenn ich gestresst und genervt bin, dann vergesse ich manchmal… 

    … dass ich in dem Land mit der höchsten Müttersterblichkeitsrate bei Geburten lebe. Dass unsere 

    Todesrate bei Babies bei 3,000 Babies jährlich bei durchschnittlich 8-12 toten Babies liegt. Das ist wie 

    ein Wunder. 

    Und manchmal, da bin ich so genervt von Allem. Weil Nichts so funktioniert wie ich es will. Weil Alles 

    immer ewig dauert, weil ich Jedem immer Alles hundert mal sagen muss. Weil Mitarbeiter 

    manchmal einfach nicht zur Arbeit erscheinen. Ständig zu spät kommen. Und dann ist es so leicht zu 

    vergessen…warum ich mir das zumute. So leicht zu vergessen, dass es die Mädchen und Frauen sind, 

    dass sie der Grund sind warum ich mit ständigem Stromausfall und Wassernotstand lebe. 

    Manchmal da bin ich wütend auf Menschen. Weil nach wiederholter Ansage immer noch nichts 

    vorwärts geht. Manchmal geht mir hier wirklich Alles auf die Nerven. Manchmal denke ich, mein 

    Gott, haben die kein Gehirn oder was? So einfach zu vergessen, dass der 11 jahrelange Krieg erst 20 

    Jahre her ist. Was bedeutet, dass ein großer Teil der Menschen hier nie in der Schule war, 

    aufgewachsen ist auf der Flucht. Im Busch. Sie haben kein Sozialverhalten gelernt. 

    Manchmal vergesse ich, dass es für Sierra Leoner schwierig ist zu planen. Vorauszudenken. Sie haben 

    das nie gelernt. Sie sorgen sich, dass heute Essen auf dem Tisch steht. Und Morgen kümmern wir uns 

    um Morgen. Wie kann man vorausplanen, wenn man erst mal den heutigen Tag überleben muss. 

    Manchmal vergesse ich, jeder Sierra Leoner über 25 hat eine Geschichte wie wir sie nicht kennen. 

    Selbst jüngere, hauptsächlich Frauen, haben mindestens ein Horror-Erlebnis hinter sich. 

    Diese Woche saß ich lange mit Korea, unserer Schneiderin, zusammen. Korea ist ungefähr 

    Mitte/Ende 20. Sie kennt ihr genaues Alter nicht. Sie wurde in einem Dorf tief im Busch geboren. 

    Ihre Eltern starben als sie noch ein Kleinkind war. Aufgewachsen bei der Tante, die sie von klein auf 

    zur Farmarbeit gezwungen hat, hat sie nie eine Schule von Innen gesehen. Als sie ungefähr 11 war 

    hat ihre Tante sie an einen alten Mann verheiratet. Verkauft für 20 Liter Palmöl und 5 Euro. Von da 

    an hat der Mann sie regelmässig vergewaltigt und als sie reif genug war, geschwängert. Ihr Körper 

    war für eine Schwangerschaft noch nicht genug entwickelt. Als es soweit war, das Kind zur Welt zu 

    bringen, lag sie mehr als 5 Tage in den Wehen. Ihre Beine waren paralysiert, sie hat viel Blut 

    verloren, eine Fistel entwickelt, wurde inkontinent und hat das Baby tot zur Welt gebracht. Sie 

    konnte nicht mehr laufen. Ein guter Samariter, der von uns gehört hatte, hat sie nach Freetown 

    gebracht. Sie war monatelang bei uns. Sie konnte geheilt werden und ist heute trocken, kann wieder 

    laufen, etwas schief aber monatelange Physiotherapie haben dafür gesorgt, dass sie ihre Beine 

    wieder nutzen kann. Ein Baby kann sie nicht mehr bekommen. Zu groß der Schaden. Korea hatte 

    keinen Ort zu dem sie zurückkehren konnte. Und unsere Gründerin hat es nicht erlaubt, dass sie zu 

    diesem Mann zurückgeht. Sie wurde angestellt, ausgebildet und ist heute eine glückliche, junge Frau. 

    So glücklich man mit dieser Lebensgeschichte eben sein kann. 

    Manchmal vergesse ich, dass es in Sierra Leone keine Therapeuten und Psychologen gibt. Es gibt so 

    viel Misshandlung, Vergewaltigung, Kinder-Ehen. Und die Menschen, hauptsächlich Mädchen und 

    Frauen müssen einfach stark sein und weitermachen. Ohne psychologische Hilfe. 

    Manchmal bin ich so beschäftigt mit dämlichem Büro-Kram, dass ich vergesse wo ich bin. Warum ich 

    da bin, wo ich bin. 

    Aber manchmal, da drehe ich eine Runde durchs Krankenhaus. Und ich sehe die Mütter mit ihren 

    schreienden Babies auf dem Arm. Ich sehe lachende Fistula Patienten die seit Jahren das erste Mal 

    ohne Windel auskommen. 

    Manchmal, da muss man sich hinsetzen und zur Ruhe kommen und sich wieder besinnen. Manchmal 

    muss man sich erinnern, dass jeder Mensch eine Geschichte hat und wir diese Geschichte nicht 

    kennen. Manchmal müssen wir uns erinnern, nicht zu urteilen. Egal wie leicht es uns vielleicht fällt. 

    Manchmal wenn ich Korea über’s Gelände laufen sehe, dann denke ich mir, wie stark sie doch sein 

    muss. Wie schwer ihr Weg zurück ins Leben war. Und ihre Situation aussichtslos. Und doch ist sie 

    heute bei uns. Und jeden morgen begrüßt sie mich mit einem Lächeln. 

    Manchmal, da trifft mich der Sierra Leonische Alltag mitten ins Herz. Ein Schlag in den Magen. 

    Manchmal wie ein Faustschlag mitten ins Gesicht. Völlig unvorbereitet. 

    Mein Mädchen Haja, ich habe schon ein paar mal über sie geschrieben, ich habe sie 2019 

    kennengelernt. HIV positive und TB, wir haben damals hart um ihr Leben gekämpft und sie hat sich 

    so gut erholt. Kurz bevor ich abgereist bin, haben wir sie wieder eingeschult. 

    Vo rein paar Wochen habe ich einen Anruf erhalten. Haja ist gestorben. 

    Als ich sie das erste Mal getroffen habe, war sie mehr tot als lebendig. Dann hat sie sich so gut 

    entwickelt. Wir hatten unglaublich viel Spaß. Als ich sie Anfang 2021 wieder getroffen habe, war ihre 

    Kondition nicht hervorragend aber auch nicht so schlimm wie 2019. Ich habe sie ein paar Monate 

    nicht gesehn. Dann hat mir ihre Sozialarbeiterin die letzten Fotos von ihr geschickt. 

    Ich habe mir Vorwürfe gemacht. Hätte ich sie doch nur zu mir genommen. Ich hätte sie öfter 

    besuchen müssen. Mehr kontrollieren, dass sie ihre Medikamente nimmt. Hätte, Müsste, Sollte. Am 

    Ende hatte sie nie eine Chance. Das musste ich mir eingestehen. In Deutschland hätte sie mit HIV alt 

    werden und ein normales Leben führen können. Hier ist es nur ein Hinauszögern des 

    Unvermeidlichen. Ich habe lange gebraucht ihren Tod zu verarbeiten, ach eigentlich lüge ich mich 

    grad selbst an. Ich habe noch gar nichts verarbeitet und werde es nie. Ich bin ein Experte im 

    Verdrängen. Am Ende konnte ich ihr Leben nicht retten. Aber in dem ich gegen die Regeln verstoßen 

    habe und sie bei uns ein ganzes Jahr im Kinderhaus habe leben lassen, habe ich ihr ein Jahr voller 

    Spaß und Freude geschenkt. Haja hatte nie ein einfaches Leben. Ihre Mutter starb an HIV als sie noch 

    ein Baby war, ihrem Vater hat sie beim Sterben zugesehen und ihn gepflegt, im Alter von 9 Jahren. 

    Haja’s Karten waren von Geburt an gespielt, sie kam mit HIV zur Welt in einem Land schlechter 

    Gesundheitsversorgung. Ich bin froh, sie gekannt zu haben, sie mir viel beigebracht. Ich habe viel von 

    ihr gelernt. Und wir hatten unglaublich viel Spaß. Für ein Jahr. 

     Ich bin nicht zu ihrer Beerdigung gegangen. Manchmal, da muss man sich selbst schützen. Ich war 

    nicht in der emotionalen Verfassung. Vielleicht hätte ich direkt einen Flug nach Hause gebucht. Ich 

    werde ihr Grab besuchen. Irgendwann. Wenn ich stark genug bin. Manchmal bin ich das. Manchmal 

    aber auch nicht. 

    R.I.P. Haja Pusmitta – you will be missed and I hope you’re at a better place now. Reunited with your parents. 


  • Sierra Leone 2.12 - Gesundheitssystem

    Sierra Leone 2.12 - Gesundheitssystem

    Seit Wochen vermisse ich Deutschland sooooo sehr! Also eigentlich vermisse ich unser 

    Gesundheitssystem. Ich weiß, viele von euch sagen jetzt: ‘WHAT?! Das deutsche 

    Gesundheitssystem ist so im Eimer!’ Actually, nein ist es nicht. Also vielleicht etwas. Aber ich sage 

    euch, es ist immer noch eines der besten der Welt und ihr wisst gar nicht wie gut ihr es habt. Ich 

    kann es nicht erwarten nach Hause zu fliegen und einen Arzt zu sehen. Seit März leide ich unter 

    einer mysteriösen Hautkrankheit. Das wandert und verwandelt sich ständig in andere 

    Beschwerden. Angefangen hat alles mit meinen Füßen. Da haben sich so Blasen gebildet mit 

    Flüssigkeit, die sind irgendwann geplatzt und als Ergebnis waren meine Fußsohlen offen. 

    Abgesehen von den Schmerzen die auf den Juckreiz folgten, hatte ich ständig Angst, dass sich 

    das irgendwie entzündet. Dann wurde es besser und ich dachte, puh, überstanden. Weit gefehlt. 

    Es ging an den Händen weiter. Aufgeplatzte, rissige Hände, juckend und schmerzend zugleich. 

    Als das endlich vorbei war ging es mit der kompletten Haut los. Überall Ausschlag und es hat 

    gejuckt wie die Hölle! Darauf folgten weitere Eiterblasen, die richtig heftig entzündet sind und es 

    tut einfach sau weh. 

    Also, es gibt genau EINEN Dermatologen in diesem Land. Und dieser gute Mann ist sowas von 

    nutzlos! Nachdem er meinen Ausschlag (und damit meinen ganzen Körper) mit seinem Handy 

    fotografiert hat, meint er: Insektenstiche. Äh, NEIN! Das sind ganz sicher keine Insektenstiche du 

    Vollpfosten. Ich wurde vom Dermatologen behandelt, von unseren Gynäkologen, unserer 

    Kinderärztin, den lokalen Ärzten und einem befreundetet Apotheker. Ich habe geduscht mit 

    antibakteriellem Putzmittel. Ich habe unzählige Tabletten geschluckt. Zig Salben auf meinen 

    Körper geschmiert. Das schlimmste war ein lokales Heilmittel gegen Krätze. Die local Ärztin hat 

    mich noch gewarnt, das brennt wie Feuer. Naja, so schlimm kann es nicht sein, dachte ich. Ha! Es 

    war schlimmer. Sie meinte noch, mach die Klima an, geh duschen, reib das Zeug an und leg dich 

    unter die Klimaanlage. ja klar, die spinnt. Wie ging das aus? Klima auf 16 Grad, ich lag nackt 

    drunter mit Eiswürfel auf meinem Körper. Echt jetzt, wirklich. Das hat so gebrannt, ich dachte 

    wirklich, das Zeug ist toxisch und ätzt mir meine Haut weg. Das ganze habe ich 4 Tage über mich 

    ergehen lassen, dann meinte sie: ‘Also wenn es bis jetzt nicht besser ist, dann ist es keine Krätze.’ 

    Ja schön, umsonst gelitten. Gut, wenigstens hab ich keine Krätze.

    Also ich war wirklich wirklich verzweifelt. Und was mache ich wenn ich verzweifelt bin wenn es um 

    meinen Körper geht? Ich schicke eine verzweifelte Nachricht an meine gute Freundin Evi und die 

    hat mir bis jetzt immer geholfen. Paar Fotos geschickt, Doktor Lerch konsultiert und schon kam 

    der Rat per Whatsapp. Ich wünschte, ich hätte früher geschrieben! Per Ferndiagnose: 

    Streptokokken Infektion und Furunkulose. Da wäre doch hier niemals jemand drauf gekommen. 

    Seit heute nehme ich Breitband Antibiotika und ich hoffe, es hilft. 

    Vielleicht kennt ihr das, wenn man irgendein gesundheitliches Problem hat und man weiß nicht 

    was? Und dann bildet man sich ALLES ein. Hier gibt es so Würmer am Strand, die in offene kleine 

    Wunden krabbeln und sich einnisten. Also, das war mein erster Gedanke. Aber das sieht anders 

    aus. Dann hatte ich HIV, Krebs, Insekten unter der Haut, meine Gedanken kreisten nur noch um 

    Jucken. Das ist die reinste Folter.

    Kurz vorm Durchdrehen. Seit Wochen juckt mein Körper als würden kleine Mini Ameisen drauf 

    rumspazieren. Ein paar Eiterbeulen sind mittlerweile explodiert und haben Krater in meinen Körper 

    gerissen, gibt schöne Narben. Dieses Land macht mich echt fertig. Ich frage mich wirklich warum 

    ich mir das antue, ganz schön blöd.

    Also ja, ich weiß, dass deutsche Gesundheitssystem hat so seine Macken. Aber ich sage euch, es 

    ist ein Alptraum wenn man eine Krankheit hat und es gibt keine Ärzte. Oder man hat eine 

    Krankheit und es gibt keine Medikamente. Oder es fehlt an Equipment. Hat man hier Krebs, tja 

    das ist ein Problem. Wenn man den Krebs operativ entfernen kann, hat man Glück, falls man Geld 

    hat, ansonsten wird man auch nicht operiert und stirbt. Chemo Therapie gibt es nicht. Muss man 

    beatmet werden, viel Glück bei 7 Millionen Einwohnern und einer Handvoll Sauerstoff Geräte. 

    Knochenbrüche werden selten operiert, überall sieht verkrüppelte Menschen weil die Knochen nie 

    gerichtet wurden. 

    Es ist ein Alptraum. 

    Ich preise deutsche Ärzte! ich preise Evi und Dr. Lerch. Ich hoffe und bete die beiden retten mich!

    Im übrigen ist Covid hier jetzt richtig angekommen, nachdem sich monatelang nichts getan hat, 

    steigen die Neuansteckungen täglich und es gibt jeden Tag Tote. Zum Glück bin ich geimpft, das 

    nimmt mir etwas die Panik. Weil hier trotzdem noch Alle jegliche Vorsichtsmaßnahmen ignorieren. 

    Maske unters Kinn und ab gehts. Zum Kotzen. Wir sind wieder im Lockdown, was auch gut ist. 

    Aber Menschenaufläufe gibt es trotzdem noch. Geht ja nicht anders. Wenn die Leute nicht auf 

    dem Markt ihr Zeug verkaufen werden sie verhungern. Dann lieber Covid riskieren. Aber ja, nimmt 

    ja eh keiner ernst hier. 

    Also ich bin echt urlaubsreif. Dies ist mein siebter Monat und ich war sage und schreibe 5 x am 

    Strand. Nur geschufftet. Sowas von erschöpft. Ich freue mich auf Hotel Mama! Wirklich! 

    Aber ich will jetzt aufhören zu jammern. Es gibt Menschen denen es schlechter geht. Und ich 

    habe noch 28 Tage dann geht’s für 3 1/2 Wochen nach Hause. Juhu

    Ach eines muss ich jetzt noch sagen. Letzte Woche habe ich gelesen, dass die EU den 

    Astrazeneca Impfstoff nicht akzeptiert der in Afrika verabreicht wurde. HÄ?! Also die Welt spendet 

    den Impfstoff und dann wird er nicht akzeptiert? Ich bin in Deutschland also nicht geimpft weil ich 

    zwar Astra bekommen hab, der aber nicht in der EU hergestellt wurde.

    Also frage ich mich, was zur Hölle habt ihr uns denn gespendet? Experimentellen Impfstoff? 

    Placebo? Hat die UN und WHO uns Fake Impfstoff verabreicht. Was ist das eigentlich für ein 

    Mist? Warum ist unser Impfstoff nicht gültig? Bin ich am Ende mit irgendnem Fake Impfstoff

    geimpft? Bevor ich jetzt wieder anfange über diese ungerechte, verdrehte blöde Welt zu 

    schimpfen, höre ich auf, geh duschen und reibe mich mit einer meiner vielen Salben ein. 

    Bleibt gesund!

  • Sierra Leone 2.11 - Woche 24

    Sierra Leone 2.11 - Woche 24

    Man weiß ja nie so genau was einen erwartet wenn man am Montag morgen bei der Arbeit 

    eintrifft. Und was die Woche so bringen mag. Die letzte Woche war für mich ein Auf und Ab, gute 

    Nachrichten, schlechte Nachrichten.

    Der Regen hat langsam eingesetzt, Betonung auf langsam. Denn wir leiden immer noch unter 

    extremen Wassermangel. Der Klimawandel hat dafür gesorgt, dass der Regen hier viel später 

    einsetzt. Eigentlich sollte es seit Mai wie aus Kübeln schütten. Es ist jetzt Mitte Juni und bis jetzt 

    hat es erst 6-8 Mal geregnet und das nie länger als ein paar Stunden. Das ist schlecht für die 

    Wasserreservoirs die leer sind. Das bisschen Regen hat aber dafür gesorgt, dass in unserer 

    Pharmacy die Decke runterkam. Das Wasser kam wie aus einem Wasserhahn aus der Decke. Das 

    war mein Willkommen am Montagmorgen. Wir haben dann alle zusammen angepackt und die 

    Regale abgebaut und in einem freien Zimmer in unserem Teamhaus wieder aufgebaut. Manche 

    Medikamente waren leider schon unbrauchbar und nicht zu retten. Was für uns echt tragisch ist, 

    weil durch Covid die Spenden zurückgegangen sind und Medikamente sind teuer. Naja, nicht zu 

    ändern, die meisten Medis konnten gerettet werden und unsere Pharmacy ist jetzt erstmal in 

    unserem Teamhaus. Gibt Schlimmeres.

    Das war also das erste Drama der Woche. Dach muss repariert werden. Zum Glück haben wir den 

    Emergency Fund.

    Es ging weiter mit guten Nachrichten, eine Vereinigung von ehemaligen Studentinnen aus 

    Freetown, die sich zu einem Club zusammen getan haben, sind auf Spendentour gegangen und 

    standen diese Woche mit einem Scheck über 10,000,000 Leones (1,000 Euro) bei mir im Büro. Zu 

    verwenden für unsere Fistula Patienten. Das war wirklich eine tolle Überraschung! Am nächsten 

    Tag ging es weiter mit einer Abordnung der British High Commission in Freetown. Die haben eine 

    Party geschmissen und Spenden gesammelt. 890 Euro. Zu verwenden wo immer wir es am 

    dringendsten benötigen. Also habe ich diese Woche fast 2,000 Euro entgegengenommen und wir 

    können es wirklich brauchen. Damit kann man soviel Gutes tun. 

    Unser Ausbildungscenter für Teenager Mamas läuft jetzt richtig und jeden Tag findet Unterricht 

    statt. Wir haben 30 Mädchen die jeden Tag mit ihren Babys kommen und lernen wir man 

    schneidert, Haare frisiert, Souvenirs für Touris herstellt und vieles mehr. Wir untersuchen alle 

    Mädels und nehmen ihren Gesundheitszustand in unsere Akten auf, ebenso für ihre Babys. Da 

    werden alle möglichen Tests gemacht um sicherzugehen, dass Alle soweit gesund sind. Leider 

    kam beim Test der ersten 10 Mädels raus, dass eine HIV positiv ist, genauso ihr Sohn. Wir haben 

    erst 10 untersucht, möglicherweise folgen noch mehr. Das hat mich kurzzeitig aus der Bahn 

    geworfen, keine gute Nachricht, auch wenn hier Medikamente erhältlich sind die das Virus unter 

    Kontrolle halten. Ich hoffe, es bleibt bei diesem Ergebnis und nicht noch mehr Mädchen sind 

    positiv. Tja, auf gute Nachricht folgen oft schlechte. 

    Das Ende der Woche war dann überhaupt nicht schön. Ein 8jähriges Mädchen wurde an uns 

    überwiesen, vergewaltigt von einem Imam (Vorbeter in der Moschee). Ein alter Mann vergeht sich 

    an einem 8jährigen Mädchen. Und zwar so heftig, dass er sie innerlich so sehr beschädigt hat, 

    dass man die Gebärmutter und Eierstöcke entfernen musste. Welch Höllenschmerzen muss sie 

    ausgehalten haben. Die Kleine ist hochgradig traumatisiert und es hat Stunden gedauert, bis sie 

    so viel Vertrauen in uns hatte, dass ein Arzt sie überhaupt anfassen durfte. Dieser Mann hatte ein 

    einziges Mal seine Freude an ihr, wie krank muss man sein um das zu tun, und sie ist geschädigt 

    für’s Leben. Körperlich und seelisch. Solche Fälle lassen mich oft an der Menschlichkeit zweifeln. 

    Was sind auf dieser Welt eigentlich für Monster unterwegs. Ich bete, dass sie den Typen 

    erwischen und er im Knast jeden Tag vergewaltigt wird und nie mehr raus kommt. 

    Tja und dann musste ich mich von einem sehr guten Freund und Vertrauten verabschieden. Wir 

    kennen uns seit 3 Jahren und er geht jetzt zurück nach Kenia. Ist für mich ziemlich schlimm, denn 

    es gibt nicht so viele Menschen hier mit denen ich mich auf einem gewissen Level austauschen 

    kann. In den drei Jahren ist er ein wichtiger Teil meines Lebens geworden. Das wird er auch 

    bleiben, aber telefonieren und whatsappen ist einfach nicht das Gleiche wie eine Live 

    Konversation. Echte, richtige Vertraute hat man als Auswanderer wenige, die zählt man meist an 

    einer Hand ab. Man kennt unheimlich viele Menschen, lernt ständig Neue kennen, aber echte 

    Freunde sind rar. Naja, so spielt das Leben, richtig?

    In den letzten Jahren hat sich die Anzahl meiner wirklichen Freunde stark verdünnt. Es sind neue 

    dazu gekommen, die mir näher stehen als viele Menschen die ich mein Leben lang kenne. Aber 

    auf meinem Weg sind einige auf der Strecke geblieben. Das ist auch niemandes schuld, das 

    passiert einfach, man lebt sich auseinander. Aber mal ehrlich, wirklich echte Freunde hat man ja 

    eh meist nur eine Handvoll. Ich meine solche, denen man bedingungslos vertraut und mit denen 

    man wirklich über ALLES reden kann und selbst wenn sie anderer Meinung sind, versuchen sie 

    dich zu verstehen und unterstützen dich, auch wenn sie genau wissen, dass du eine völlig falsche 

    Entscheidung triffst (Gell Sarah ;-) )

    Ja also, mal wieder eine Woche voller Auf’s und Ab’s. Aber daran habe ich mich ja gewöhnt 

    mittlerweile. Heute habe ich zufällig in der Stadt meinen Fahrer aus 2019 getroffen, wir haben uns 

    seitdem nicht gesehn und auch keinen Kontakt gehabt. Das war so schön ihn zu treffen. Das sind 

    die tollen Momente. 

    Ich fühle mich übrigens in meiner neuen Wohnung soooo wohl! Es ist ruhig (okay für Freetown 

    Verhältnisse ruhig), groß, keiner nervt mich, keine gebärenden Frauen schreien, wenn ich 

    Feierabend habe, stört mich keiner. Es gibt IMMER Wasser und zwar mit einer richtigen Dusche 

    mit Wasserdruck! Nachdem ich 5 Monate aus dem Eimer geduscht habe ist das so ein Luxus, ich 

    geniesse jede einzelne Dusche. Das Apartment ist wirklich groß, zwei Gästezimmer, also wenn 

    mal jemand von euch zu Besuch kommen mag, jederzeit willkommen :-)

    Dieses Land ist traumhaft schön, die Strände einzigartig und es gibt absolut keine Touristen :-)

    Die Menschen sind freundlich und hilfsbereit. Ich weiß, Sierra Leone schreckt als Urlaubsland 

    erstmal echt ab. Aber meine über 60jährige Familie hat sich hierher getraut und mich besucht, das 

    heisst ja echt was. Und sie fanden es schön. Meine Mom meinte sogar: ‘also wenn du nächstes 

    Jahr noch da bist, dann komme ich wieder’. YEAH! 

    Meine Lieben, bleibt gesund und munter, wie ich höre geht es aufwärts in Deutschland. Endlich! 

    Ich freue mich für euch! Und ich freue mich für mich, wenn ich August zu Besuch komme und ein 

    Schnitzel im Biergarten essen kann, darauf freue ich mich jetzt schon :-) 

    Blick von meinem Balkon, ich kann das Meer sehen, jeden Tag, das ist so schön!

  • Sierra Leone 2.10 - Das Gewissen

    Sierra Leone 2.10 - Das Gewissen

    Ich bin diese Woche umgezogen. Nach langer Verhandlungsphase haben meine Chefs 

    eingesehen, dass wenn ich hier für etwas länger bleiben soll, ich eine andere Bleibe brauche. Ich 

    habe meine erste Woche als Country Director hinter mir. Die Einarbeitungsphase war mehr 

    schlecht als recht. Erstens ist mein vorheriger Vorgesetzter nicht gerade ein Arbeitstier und dann 

    war ehrlich gesagt kaum Zeit. Ich bin den ganzen Tag so beschäftigt, dass ich nicht dazu 

    gekommen bin, ihm viele Fragen zu stellen oder mir groß was erklären zu lassen. Aber naja, 

    learning by doing war ja schon immer der beste Weg. Wird schon. Meine erste Woche war 

    unglaublich busy. Ich meine, unglaublich busy! An manchen Tagen habe ich morgens um 5 Uhr 

    angefangen zu arbeiten, nur damit ich 3 Stunden Zeit habe meine eigenen Sachen fertig zu 

    kriegen, bevor mir ab 8 Uhr jeder die Tür einrennt. Was sind so die großen Herausforderungen im 

    neuen Job? Hm. Also letzte Woche war es definitiv das Wasser. Strom ist das geringere Problem, 

    wir haben zwei große und einen kleinen Generator, Stromausfall tangiert uns nicht wirklich. Aber 

    Wasser, das ist wirklich ein Problem. Eigentlich sollte es seit Mitte/Ende Mai jeden Tag regnen. Die 

    Regenzeit hat begonnen. Tja, in der Realität hat es 4 Mal kurz geregnet. Was zu absolutem 

    Wassernotstand führt. Vielen Dank Klimaveränderung. Und mit Wassernotstand meine ich nicht, 

    dass ich nicht duschen kann. Damit meine ich, dass wir eine Klinik sind, mit Geburtsstation. Da 

    wollen sich die Hebammen nach einer Geburt gerne die Hände waschen. Damit meine ich unsere 

    Wäscherei, die die ganzen blutigen Bettlaken waschen soll. Damit meine ich über 100 stationäre 

    Patienten, die mal aufs Klo müssen. Letztes Wochenende habe ich die Feuerwehr angerufen, die 

    mit ihrem großen Tanklaster kamen und unsere Tanks aufgefüllt haben. 

    Eine andere Herausforderung ist der ganze Finanzkram. Ich hab’s ja echt nicht so mit Zahlen. Das 

    hat dazu geführt, dass ich stundenlang mit unserem Finanz Manager zusammen saß und mir 

    mühsam alle Informationen ins Gehirn geballert habe. Es gibt ein Budget nicht umsonst und wir 

    müssen uns daran halten. Da muss man schon manchmal hin und her rechnen um mit dem Geld 

    klarzukommen. Prioritäten setzen. Naja, wird schon.

    Was mich unglaublich viel Zeit kostet ist der ganze medizinische Kram. 

    Medikamentenbestellungen und das ganze Zeug. Zum Glück habe ich ein tolles Team, das mir 

    geduldig immer wieder das Gleiche erklärt. Überhaupt kann ich mich glücklich schätzen, an die 

    170 Mitarbeiter und im Großen und Ganzen funktioniert es echt super. Ich habe da ein paar richtig 

    gute Leute. Und die machen ihren Job eine ganze Weile, ich muss also kaum erklären und 

    anweisen. Eigentlich bin ich hauptsächlich der Probleme-Löser. 

    Also, ich habe die erste Woche überlebt und ich werde auch die nächsten 12 Monate überleben 

    und dann mal sehen ob ich verlängere oder vielleicht einen anderen Weg einschlage.

    Wenn ich in den letzten Jahren eines gelernt habe, dann, dass sich immer wieder etwas Neues 

    auftut. Es ergeben sich neue Chancen. Ich würde gerne an die Ostküste Afrikas. Aber das ist 

    Zukunftsmusik. Erstmal die nächsten 12 Monate überleben…

    Zurück zu meiner neuen Bleibe. Also ich fühle mich total komisch. Die Mietpreise in Freetown sind 

    abartig. Ich meine ABARTIG! Ich habe echt lange gesucht, nach einem kleinen 1-Zimmer 

    Apartment. Nur, dass ihr mal so eine Idee bekommt, das günstigste 1-Zimmer Apartment kostet 

    16.000 US Dollar jährlich. Die Meisten denken immer, hier ist Alles billig, weil armes Land und so. 

    Von wegen.

    Shampoo: 3 Euro aufwärts

    Nescafé Instant: 200 Gramm 7 Euro

    Nudeln: 3 Euro aufwärts

    Pizza: 12 Euro aufwärts

    Fisch und Reis im Restaurant: 16-25 Euro

    1 Liter Milch: 2 Euro

    Ihr seht, es ist hier ganz und gar nicht günstig. Es kann günstig sein wenn man lokale Produkte 

    verwendet. Aber ich weigere mich meine Haare mit Kernseife zu waschen. Und ich weigere mich 

    auf Kaffee zu verzichten. 

    Meine neue Wohnung. Also ich habe mit viel Glück eine 3-Zimmer Wohnung für jährlich 12.000 US 

    Dollar gefunden. Mit dem Abkommen, dass meine Chefin und die Gründerin unserer Organisation 

    bei mir wohnen wenn sie 1-2 Mal jährlich anreisen, durfte ich die Wohnung mieten. 

    Sie zahlen die Miete und die Hälfte meines Internets. Ah, übrigens kostet Internet hier 150 US 

    Dollar im Monat und die Installation 500 US Dollar. Beschwert euch bitte schön nie mehr über 1&1 

    ;-)

    Wie ist denn das in der Hauptstadt Sierra Leones, gibt es abgrenzte Slums? Wo leben die Armen, 

    wo die Reichen? Ja also es gibt Slums in denen sich Blechhütte an Blechhütte reiht. Aber, die 

    ganze Stadt ist ein Mix aus Reich und Arm. Das Haus in dem ich wohne, ist wirklich luxuriös. 4 

    Wohnungen, luxuriös ausgestattet. Eine hohe Mauer umzäunt das Ganze. Und direkt an diese 

    Mauer sind Blechhütten angebaut. Eine richtige Abgrenzung zu Slums gibt es nicht. Wo immer 

    Platz ist, werden Hütten gebaut. Und das ist wirklich manchmal etwas schwierig.

    Ich sitze hier in meiner geräumigen Wohnung. Mit Internet. Mit gefülltem Kühlschrank. Ein 

    richtiges Dach. Ein richtiges Bett. Eine Dusche mit GRANDIOSEM Wasserdruck! Ein großer 

    Balkon mit Meerblick.

    Und dann schaue ich aus dem Küchenfenster. Und ich sehe Blechhütten. Gekocht wird auf einer 

    Feuerstelle. Geduscht aus einem Eimer. Ich weiß, dass die Alten, die Kinder heute Nacht auf dem 

    Boden auf Stroh schlafen. Ich weiß, dass sie aufstehen bevor die Sonne aufgeht um an die 

    nächste Wasserquelle zu laufen und Kanister-weise Wasser nach Hause schleppen. 

    Ich weiß, dass die Regenzeit bevorsteht. Es schüttet wie aus Eimern, es blitzt und donnert. Und 

    direkt neben mir liegen die Kinder auf dem Boden und versuchen zu schlafen. Die Hütten auf die 

    rote Erde gebaut. Wasserströme werden den Berg runterfliessen und die Hütten überschwemmen. 

    Viele davon sogar wegschwemmen. 

    Und dann meldet sich mein Gewissen manchmal. Und ich fühle mich echt schlecht. 

    Aber ich kann ja nix dafür. Das sagt man sich dann. Ändert aber nichts daran wie man sich fühlt 

    wenn man das täglich vor Augen hat. Am liebsten möchte ich alle in meine Wohnung holen. Was 

    natürlich nicht geht. Ich kann rein gar nichts tun um diese Situation zu ändern. Das weiß ich. 

    Trotzdem fühle ich mich nicht gut wenn ich das sehe. Das kann einem echt das Herz brechen. 

    Ich habe mich nicht selbst in mein Leben rein geboren. Das war Zufall. Genauso gut hätte ich 

    eines dieser Kinder sein können. Ich bin froh und dankbar für mein Leben. Und ich weiß, ein 

    schlechtes Gewissen ist nicht notwendig. Und trotzdem ist es da. 

    Freetown unterscheidet sich von anderen armen Ländern die ich bisher besucht habe. Freetown 

    ist ein einziger riesiger Slum. Man muss nicht an den Stadtrand fahren um ein Ghetto zu sehen. 

    Das Ghetto ist überall. Protzige Häuser direkt neben Blechhütten. Das macht es so schwer 

    Abstand zu nehmen oder mal das Hirn auszuschalten und nicht an Elend zu denken. Man hat es 

    jeden Tag vor Augen. An vieles gewöhnt man sich. An das nicht. Das ist der Grund warum es mir 

    so schwer fällt nicht nachzudenken. Oder unbeschwert zu sein. Also, ich bin hier nicht dauerhaft 

    in einem traurigen Zustand. Ganz und gar nicht, ich lache viel und ich genieße auch viel. Ich habe 

    Spaß. Sonst wär ich schon wieder zuhause. Aber unbeschwert bin ich eigentlich selten. 

    Ich wünschte jemand käme mit einer grandiosen Idee um die Ecke um das Elend ein für alle mal 

    zu beenden. Ich bin es manchmal leid, hungernde Kinder zu sehen. Es wird soviel getan, kleine 

    Hilfen hier und dort. In unserem Krankenhaus sorgen wir dafür, dass Mütter ihre Babys sicher zur 

    Welt bringen. Wir reduzieren die Kinder- und Müttersterblichkeitsrate bei der Geburt um ein 

    vielfaches (im Mai haben wir übrigens unseren diesjährigen Rekord gebrochen: 316 gesunde 

    Babys kamen bei uns auf die Welt, über 80 davon per Kaiserschnitt). Unsere Klinik wird im ganzen 

    Land gefeiert für das was wir tun. Jeder kennt das Aberdeen Women’s Centre. JEDER. Egal wo 

    ich hingehe, sobald jemand hört wo ich arbeite bedanken sich die Menschen für das was wir tun. 

    Und das ist gut. Wir helfen. Und es gibt viele Hilfsorganisationen hier, auf den unterschiedlichsten 

    Gebieten, die ihr Bestes tun. Aber das ist immer nur ein Tropfen. Ich wünschte jemand hätte diese 

    eine große, geniale Idee um endlich etwas Großes zu bewegen und wirklich was zu verändern. 

    Also falls ihr euch fragt, ob ich hier manchmal ein schlechtes Gewissen habe weil ich so ein gutes 

    Leben führe und andere in Not sind. Ja. Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen. Auch wenn 

    ich weiß, dass ich das nicht haben muss. Mein Gehirn sagt mir, ich soll das abschalten. Aber Hirn 

    und Herz sind nun mal zwei verschiedene Organe die denken und fühlen was sie wollen. Mein 

    Herz kann ich nicht abschalten.

  • Sierra Leone 2.9 - Deutschland vs. Sierra Leone

    Sierra Leone 2.9 – Deutschland vs. Sierra Leone 

    Ich lebe in Freetown, Sierra Leone. 

    Platz 9 der ärmsten Länder der Welt. 

    Platz 4 Kindersterblichkeitsrate unter 5 Jahren weltweit. 

    Platz 1 Müttersterblichkeitsrate weltweit. 

    Platz 4 niedrigste Lebenserwartung weltweit von 54 Jahren. 

    77% der Einwohner leben von weniger als 2 US Dollar am Tag. 

    Was bedeutet das im Alltag? Für die Menschen hier ist jeder Tag eine neue Herausforderung. Man 

    verdient am Tag gerade so viel, dass es für ein paar Tassen Reis reicht um die Familie am Leben zu 

    halten. Planen oder Sparen ist für die Meisten nicht möglich. Die Familien kratzen ihr letztes Geld 

    zusammen um ihre Kinder zur Schule zu schicken. Die öffentlichen Schulen sind gebührenfrei, 

    allerdings muss die Familie für Mittagessen, Schuluniformen und Bücher aufkommen, was für die 

    Meisten ein echter Kampf ist. Was bedeutet das für die Kinder? Der Unterricht findet in Schichten 

    statt, weil es nicht genug Schulen und Lehrer gibt. Eine Gruppe wird am Vormittag unterrichtet, die 

    Andere am Nachmittag. Was für die Kinder keineswegs bedeutet, dass sie den Rest des Tages frei 

    haben. Um spätestens 6 Uhr am Morgen stehen sie auf, machen sich mit Kanistern auf den Weg um 

    Wasser zu holen. Je nach Schicht geht es nach Arbeiten im Haushalt, Wäsche waschen, entweder zur 

    Schule oder auf den Markt und die Straßen um Waren zu verkaufen. Brot, Gemüse, Obst, Kleidung, 

    egal was, hier wird alles auf der Straße gekauft. Die Kinder arbeiten den halben Tag, die andere 

    Hälfte gehen sie zur Schule. Wenn man Abends durch Freetown läuft, sieht man oft Kinder unter den 

    wenigen Straßenlaternen sitzen und Hausaufgaben machen. Zuhause gibt es keinen Strom und somit 

    kein Licht. Wer nicht eine große Taschenlampe hat, muss sich eine Straßenlaterne suchen. Spät geht 

    es ins Bett um nach ein paar Stunden Schlaf das Ganze zu wiederholen. 

    Gejammert wird nicht, denn dann gibt’s was auf den Hintern. Überhaupt habe ich hier noch nie ein 

    Kinder mit Widerworten gehört. Ohne Murren tun sie, was sie tun müssen. Sie kennen es nicht 

    anders. Jeder muss mithelfen, sonst geht es nicht. Kinder im Alter von 5, 6 Jahren tragen 

    Wasserkanister auf ihren Köpfen. 

    Die für mich persönlich schlimmste Arbeit für Kinder ist das Steine klopfen. Kinder sitzen mit einem 

    abgenutzen Hammer und Meisel vor einem Felsbrock und verarbeiten diesen zu Kieseln, die dann 

    verkauft werden. Nicht nur, dass sie die ganze Zeit den feinen Staub einatmen, diese Arbeit ist 

    wirklich ein körperlicher Kraftakt. Aber auch hier, keiner beschwert sich. Kein Steine klopfen, kein 

    Verkauf von Kieseln, kein Essen auf dem Tisch. So einfach ist das. 

    Manchmal vergesse ich wie arm das Land ist. Bis ich sehe, wie jemand reagiert dem ich 5.000 Leones 

    in die Hand drücke. Das sind 40 cent. Bis ich merke, dass die Menschen hier nicht Säckeweise Reis 

    kaufen sondern in Tassen. So auch Salz, Mehl, Zucker. Keiner kann es sich leisten, ganze Packungen 

    zu kaufen, es wird Tassenweise verkauft. Wenn meine Haushälterin den Müll wegbringt, versteckt 

    sie sich hinter einer Ecke und durchwühlt meinen Müll. Immer. Ich habe sie ein paar Mal entdeckt 

    und eine Weile gebraucht um zu checken was sie macht. Seitdem tu ich so, als würde ich es nicht 

    sehn. Um ihr ihre Würde zu lassen. Also ich werfe wirklich sehr sehr selten Essen weg, für mich ist 

    mein Müll wirklich nicht mehr zu gebrauchen. Selbst leere Dosen oder Gläser, alles wird wieder 

    verwertet, als Aufbewahrung für unsere Bastelsachen z.B. 

    Aber sie findet immer etwas, dass sie doch noch gebrauchen kann. Dann denke ich an unsere 

    Mülltonnen zuhause und ich weiß, dass wäre das Paradies für die Menschen hier. Ich bin mir sicher, 

    mindestens 50% unseres Mülls würden hier wieder verwertet werden. 

    Ich treffe wöchentlich Patienten, die wir schulen müssen, wie eine Dusche und eine Toilette 

    funktioniert. Unsere Putzfrauen beschweren sich oft, dass sie Kot aus der Dusche kratzen müssen. 

    Die Frauen die wir hier behandeln, haben nie in ihrem Leben eine Toilette gesehen, geschweige 

    denn benutzt. Sie kennen keinen Strom und kein elektrisches Licht. Wenn mir das bewusst wird 

    muss ich mich manchmal hinsetzen und das verinnerlichen. 21. Jahrhundert. Nicht in diesem Land. 

    Ein Kampf ums Überleben. Täglich. Ich kenne kein Problem der Welt, dass es hier nicht gibt. Hunger, 

    Krankheit, kaum medizinische Versorgung, Vergewaltigung, junge Mädchen werden verheiratet an 

    alte Männer, es werden immer wieder Menschen entführt in andere Länder um versklavt zu werden. 

    Babys und Mädchen werden Opfer von tradionellen Hexenkraft Traditionen, weil man eine Jungfrau 

    opfern muss und bei kleinen Mädchen weiß man, die sind noch Jungfrau. Alle Bürger Sierra Leones 

    über 25 sind traumatisiert von Bürgerkrieg und Ebola. Psychologische Hilfe gibt es nicht. 

    An die Eimerdusche habe ich mich mittlerweile so sehr gewöhnt, diese Woche war ich im 

    Landesinneren unterwegs und war in einem teuren Hotel untergebracht mit einer Dusche mit 

    unglaublichem Wasserdruck. Ich habe 3x geduscht und das war seit Wochen das schönste Erlebnis. 

    Duschen unter einem Duschkopf ist für mich der reinste Luxus. Ein Geschenk. 

    Der tägliche Stromausfall ist für mich zur Routine geworden, meistens bemerke ich es nicht mal 

    mehr. Ausser ich telefoniere mit Freunden und das Internet funktioniert dann auch nicht mehr. 

    Manchmal wenn ich einen echten Scheisstag habe, dann telefoniere ich mit meiner Schwester. Ich 

    frage sie: “ Warum zur Hölle tu ich mir das Alles eigentlich an?” Dann sagt sie: “Weil du DU bist!” 

    Zum Teil hat sie Recht, aber ich glaube trotz all dem Schlimmen das ich hier sehe und erlebe, bin ich 

    hier doch glücklicher als ich es in Deutschland. Ich habe es ja ein paar Mal versucht, zurückzukehren 

    und mich wieder einzuleben. Es hat einfach nicht funktioniert. Ich habe oft darüber nachgedacht 

    woran das liegt und zu dem Ergebnis gekommen, dass es dafür 6 Haupt-Gründe gibt: 

    1. Dankbarkeit 

    Wir Deutschen haben vergessen, was Dankbarkeit eigentlich bedeutet. Alles ist 

    selbstverständlich geworden. Ich sage euch, jeder Tag ist ein Geschenk. Wasser, Strom, 

    Lebensmittel, ein Dach über dem Kopf, dass eure Lebensumstände es erlauben, dass euer 

    Kind bei euch aufwächst und nicht bei irgendwelchen Verwandten weil ihr arbeiten müsst. 

    Dass ihr jederzeit medizinische Hilfe bekommt, das ist nicht selbstverständlich. Dass ihr 

    jeden Tag Essen auf dem Tisch habt, in grenzenloser Auswahl. Dass eure Kinder zur Schule 

    gehen und nicht arbeiten müssen. Urlaub, freie Tage, das gibt es hier nicht. Ein ganz, ganz 

    normales deutsches Leben ohne großen ‘deutschen’ Luxus ist hier Reichtum. Das ist mehr als 

    80% der Bürger hier je erleben. Seit ich das erste Mal einen Fuss in dieses Land gesetzt habe, 

    sage ich jeden Tag mindestens einmal Danke. 

    2. Nächstenliebe 

    Hier hilft Jeder Jedem. Wenn mal ein Tag kein Essen auf dem Tisch steht, dann sorgen 

    Nachbarn und Freunde dafür, dass zumindest die Kinder einmal täglich essen. Hier hilft man 

    sich. Hier sind alle Brüder und Schwestern. Wenn jemand in Not ist, hilft der Umkreis. Wenn 

    nur eine Person in der Familie Geld verdient, dann füttert sie die ganze Familie durch. 

    3. Feier dich selbst 

    Wer hier Geburtstag hat, der wird gefeiert wie eine Königin oder ein König. Freunde und 

    Familie posten auf Whatsapp oder Facebook. Jedes einzelne neue Lebensjahr wird gefeiert 

    wie bei uns höchsten der 18. Geburtstag. Und je älter die Menschen werden umso mehr 

    feiert man sie. Jedes weitere Jahr ist ein Geschenk! Keiner jammert über’s Älterwerden, das 

    ist etwas worauf man stolz ist. Wenn dir jemand erzählt, dass der Vater oder die Mutter 

    über 70 Jahre alt geworden ist, dann ist das der ganze Familienstolz und man versucht alles 

    dem nachzueifern. Wir jammern in Deutschland über Falten über kleine Weh-Weh-chen, 

    hier wird gearbeitet bis man umfällt, es jammert keiner. 

    4. Selbstliebe und Selbstbewusstsein 

    Die Frauen in Sierra Leone sind stolz, quetschen sich in die engsten Kleider und feiern jede 

    Rundung. Wenn dein Po zu klein ist, lächeln sie über dich. Sie lieben ihre Kurven. Keiner 

    jammert hier über ein paar Pfunde zuviel. Sowieso ist einfach jeder wie er ist. Da urteilt 

    keiner. Es wird nicht gelästert und geglotzt. Wenn eine Frau ein tolles Kleid trägt, auch wenn 

    sie ein paar Pfunde zuviel hat, dann bekommt sie den ganzen Tag über Komplimente. Es gibt 

    keinen Neid und keine Eifersucht. Man unterstützt sich gegenseitig. 

    5. Die Basis 

    Nach wenigen Tagen Aufenthalt in Sierra Leone findet man zur Basis zurück. Es wird einem 

    ganz schnell bewusst, auf was es im Leben ankommt. Dass es nicht die dicken Autos sind, auf 

    die es ankommt, dass es nicht die teuersten Klamotten, Häuser sind, die einen am Ende 

    glücklich machen. Ich lebe hier aus zwei Koffern persönlicher Habe. Reduziert auf das 

    Notwendigste. Man merkt schnell wie wenig man eigentlich braucht zum Leben. Und alles 

    Andere Überfluss ist. Man kehrt zurück zu sich selbst, konzentriert sich aufs Wesentliche. 

    Man ist dankbar wenn man gesund ist und ein paar Klamotten im Schrank hat. Luxus ist 

    wenn man sich mal eine Pizza gönnt. Oder Cocktails. Das Glück kommt nicht von Aussen, das 

    Glück trägt man in sich oder man findet es nie. Auch wenn das jeder weiß, wer lebt denn 

    danach? Wieviele von uns suchen ihr Glück im Äusseren? 

    6. Toleranz 

    Christ oder Muslim, Schwarz oder weiß, jung oder alt, arm oder reich. Man toleriert sich 

    gegenseitig. Ich bin hier oft die einzig Weiße unter Schwarzen, und tatsächlich habe ich den 

    Punkt erreicht wo ich das nicht mal mehr merke. Ich war diese Woche auf einer 

    Veranstaltung, die einzige Weiße unter 200 Schwarzen. Mir war das nicht bewusst, bis meine 

    Kollegin meinte, hey heute bist du die einzige Weiße hier. Für mich ist das ein unbezahlbares 

    Glück diesen Punkt erreicht zu haben. 99% meiner Freunde hier sind Schwarz und es spielt 

    absolute keine Rolle. Es stand nie zur Diskussion, es war nie Thema. Wir sind einfach wir. 

    Christen und Muslime feiern ihre Feiertage zusammen. Ich kenne kein Land der Erde mit so 

    einer religiösen Toleranz. Wenn irgendwo gebetet wird, dann immer ein christliches und ein 

    muslimisches Gebet. Ich wünsche mir diese Toleranz überall auf der Welt. Was für eine 

    wunderbare Welt das wäre. 

    Und dann blicke ich aus der Ferne nach Deutschland und sehe was da vor sich geht. Ich weiß ja gar 

    nicht wo ich anfangen soll. 

    Bei der Ignoranz? 

    Ignoranz der Corona-Leugner die sich in Gruppen versammeln und demonstrieren und damit das 

    Virus nur weiter verbreiten. Ignoranz gegenüber Menschen in unserem Leben, die Risikopatienten 

    sind. Vorerkrankte, ältere Menschen. Wilde Verschwörungstheorien von Menschen die für mich 

    Ignoranz und Dummheit vereinen. Ja, ich sage es ganz krass und laut: Dummheit. Auch wenn ich mir 

    jetzt einige Feinde mache, ich muss es einmal öffentlich kund tun, sonst platze ich irgendwann. 

    Menschen sterben alleine auf Intensivstationen und vor Tür demonstrieren Menschen gegen 

    Maßnahmen die uns helfen können. Ich frage mich, haben diese Menschen nichts Besseres zu tun? 

    Haben sie nicht genug Probleme? Für mich sind Corona Leugner auf einer Linie mit Trump Wählern. 

    Ja, Maßnahmen sind schwer, sind heftig, persönliche Einschränkungen, es wird nachhaltige 

    Auswirkungen haben, auf unsere Kinder, auf uns. Aber Kinder sind stark und können mehr aushalten 

    als wir denken, das weiß ich aus Erfahrung. Und sie werden darüber hinweg kommen. Die Situation 

    ist, sagen wir es wie es ist, SCHEISSE. Aber was sind ein paar persönliche Einschränkungen und 

    Verzicht im Gegensatz zu Familienmitgliedern die nicht die Chance haben sich zu verabschieden. 

    Was ist das im Vergleich zu Menschen die Monate lang um ihr Leben kämpfen und nie mehr die 

    Alten werden. 

    Wir impfen hier monatlich an die 1.000 Kinder, die Menschen stehen Schlange vor unserer Klinik. So 

    viele Menschen könnten hier mit gewissen Impfungen überleben. Kinder sterben täglich. Und in 

    Deutschland demonstrieren Menschen eifrig gegen Impfstoff der Leben retten kann. Abgesehen von 

    der Covid Impfung, Eltern die sich weigern ihre Kinder gegen Masern oder ähnliche Krankheiten 

    impfen zu lassen, diese Eltern möchte ich gerne mal hierher einladen. Diesen Eltern möchte ich 

    gerne mal Bilder und Videos schicken von Kindern die sterben weil es nicht genug Impfstoff gibt. Und 

    dann möchte ich die Köpfe dieser Eltern einmal gegen die Wand donnern in der Hoffnung sie 

    wachen auf. 

    Ignoranz und Respektlosigkeit. Das ist, was an vielen Orten in Deutschland gerade passiert. 

    Respektlos gegenüber den Menschen die in der ersten Reihe stehen und versuchen den Rest 

    Deutschlands zu schützen. Das ist das medizinische Personal das unter sehr erschwerten 

    Bedingungen arbeiten muss. Abgesehen von den ungewohnt hohen Todesfällen, Menschen die sie 

    beim Sterben begleiten weil Angehörige nicht da sind. Und wieder aus Erfahrung kann ich sagen, das 

    macht etwas mit einem. Immer wieder Menschen sterben zu sehen, das verändert und da zerbricht 

    was in einem. Was vielleicht repariert werden kann, vielleicht aber auch nicht. Glaubt mir, ich weiß 

    von was ich rede. Für mich ist es der höchste Grad der Respektlosigkeit und Ignoranz wenn man 

    Corona leugnet, gegen Maßnahmen demonstriert, das Virus weiter verbreitet. Respektlos den 

    Menschen gegenüber die ihre körperliche und geistige Gesundheit aufs Spiel setzen um zu helfen. 

    Menschen die Polizisten angreifen oder anspucken, die versuchen die Demonstrationen im Rahmen 

    zu halten, die versuchen die Situation unter Kontrolle zu behalten und am Ende versuchen uns zu 

    helfen, ihren Job machen. Andere Menschen anzuspucken, herrje, geht es noch respektloser? 

    Ich lese Kommentare auf Facebook, die Situation und die Regierung wird mit dem dritten Reich 

    gleichgesetzt oder verglichen. Und da sind wir wieder beim Thema Respekt. 

    Was mich glücklich macht? Dass wir hier von einer Minderheit reden. Der große Teil Deutschlands 

    hält sich an Maßnahmen, versucht geduldig zu sein, auch wenn die Situation sicher manchmal alles 

    aus einem rausholt. Und darauf bin ich stolz. 

    Fokussieren wir uns also lieber auf die kooperativen Menschen. Reden wir doch mehr über einzelne 

    Geschichten. Traurige Geschichten. Reden wir doch mal von den Menschen die es nicht geschafft 

    haben Covid zu besiegen. Reden wir doch über Erinnerungen an diese Menschen. Trauern wir doch 

    mal für ein paar Minuten mit den Angehörigen und hören, was sie zu sagen haben. Reden wir doch 

    auch über die Erfolgsgeschichten. Menschen die wieder genesen sind. Dem Tod von der Schippe 

    gesprungen. Zurück ins Leben gekehrt sind. 

    Reden wir doch mehr über Pflegekräfte und Ärzte. Die Unglaubliches leisten. Jeden Tag auf’s Neue. 

    Reden wir doch über Nachbarschaftshilfen, Menschen die füreinander da sind, Einkaufen gehen, die 

    sich emotional unterstützen. 

    Ich wünschte, die Presse würde sich mehr mit diesen Menschen beschäftigen. Den negativ 

    denkenden Menschen nicht so viel Aufmerksamtkeit schenken. 

    Ja es ist schwierig seine Familie und Freunde nur über Video Calls zu sehen. Ich weiß sehr gut wie 

    schwer das ist, ich lebe seit einigen Jahren so. Aber Distanz kann auch Gutes hervorbringen. Man ist 

    viel offener. Redet leichter über Gefühle, seinen Gemütszustand. Und wenn man sich dann nach 

    langer Zeit wieder persönlich trifft, dann weiß man jede Minute zu schätzen, man geniesst jeden 

    Augenblick. Und dann ist da noch die Vorfreude. Auf den Tag an dem die ganze Familie wieder 

    zusammenkommt. Ich habe noch zwei Monate vor mir um dann nach 8 Monaten endlich Familie und 

    Freunde wiederzusehen. Direkt nach meiner Ankunft wird mein Neffe getauft, die ganze Familie 

    kommt zusammen. Ich bete, dass das bis dahin problemlos möglich ist. Ich kann mit Worten nicht 

    beschreiben wie sehr ich mich auf diesen Tag freue, all meine Lieben um mich zu haben und den Tag 

    zu verbringen. Und dafür bin bin ich heute schon dankbar. 

    Deutschland vs. Sierra Leone 

    Unterschiedlicher kann es kaum sein. Und doch bin ich in beiden Welten glücklich. Und doch ist für 

    mich beides Heimat. Sierra Leone bringt mich zum Nachdenken. Verursacht in mir den Wunsch die 

    Welt zu verändern. Jeden Tag aufs Neue. Es gibt keinen Tag an dem ich einfach sorglos vor mich hin 

    lebe. Meine Gedanken kreisen Non-Stop. Sierra Leone hat mich zu meiner Basis zurück geführt. Mir 

    Werte gegeben nach denen ich leben will. 

    Deutschland. Für mich Sicherheit. Ein Netz, das mich immer wieder auffängt. Ein Hafen, der den 

    stärksten Sturm übersteht und auf mich wartet. Heimat. Meine Wurzeln. Meine Basis. Manchmal 

    zuviel Überfluss für mich und manchmal zu schnell, zu hektisch, kaum Zeit inne zu halten. 

    In meinem Herz ist Platz für beide. Und ich versuche das Beste aus beiden Ländern für mich 

    rauszuholen. Versuche zu lernen und mich weiter zu entwickeln. Und durch meine Geschichten, 

    versuche ich euch meine zweite Heimat näher zu bringen und auch ein bisschen von dem was Sierra 

    Leone mich lehrt an euch weiterzugeben. 

    Bleibt gesund! 

  • Sierra Leone 2.8 - Nervenkostüm

    Sierra Leone 2.8 – Nervenkostüm 

    Ich weiß, lange her, zu lange. Ehrlich gesagt, ich bin so erschöpft wie nie zuvor, die Energie zum 

    Schreiben hat einfach gefehlt. Auch wenn mir das Schreiben sicherlich geholfen hätte. Anyways, I’m 

    back! 

    Meine letzten Wochen waren ein Auf und Ab sondersgleichen. Ich fange mal mit meinem Alltag an, 

    dann versteht ihr vielleicht, das schon mein ganz normaler Alltag so unglaublich anstrengend ist. 

    Da hätten wir die aktuelle Wassersituation. Wir leiden unter Wassermangel und das seit Wochen. 

    Heisst, es gibt für ein 2-3 Stunden Wasser am Tag. Wenn halt grad mal unser Wasserlieferant liefern 

    kann und/oder unser Bohrloch genug Wasser führt um zu pumpen. Der Wasserstand ist allerdings 

    niedrig, das Grundwasser sinkt immer mehr. Bedeutet für mich, ich muss den Moment erwischen in 

    dem Wasser aus der Leitung kommt um mir dann 2-3 Eimer zu füllen damit ich Abends und Morgens 

    duschen kann. Am Anfang habe ich noch Rücksicht genommen und habe mir nur einen Eimer gefüllt, 

    was soll ich sagen, ich bin zum Egoisten geworden, ich sammel so viel Wasser wie möglich, ob für 

    Kollegen oder Patienten noch was übrig ist, ist mir mittlerweile egal. 

    Zur Übersicht, wir sind ca. 140 Leute an Personal jeden Tag, 200-300 Tagespatienten und ca. 100 

    stationäre Patienten. Und dann Wassermangel. Toilettenspülungen, Körperhygiene, Trinkwasser für 

    Patienten, schwierig… Zum Frust, dass man manchmal nicht duschen kann kommt dann der Geruch 

    wenn Toilettenspülungen nicht funktionieren und Patienten sich nicht richtig waschen können. 

    Doppelbelastung. Dann ist ständig Stromausfall, daran habe ich mich gewöhnt und von allen Übeln 

    ist dies das Kleinste. Ein größeres Problem ist für mich die Lautstärke. Noch immer wohne ich oberall 

    der Geburtsstation und ich höre seit 4 Monaten 24 Stunden lang Frauen schreien während sie 

    gebären. Das geht an die Psyche, zuerst der Lärm, ja, aber oft fühlt es sich an als lebe ich auf dem 

    Filmset eines Horrorfilms. Psycho-Terror. Und hier werden nicht 2-3 Babys pro Tag geboren, es sind 

    250 – 350 pro Monat. Fühlt sich wirklich an wie Dauerproduktion von Babys. 

    So also, das ist der ganz normale Alltag. Da hab ich noch nicht mit der Arbeit angefangen. Von 

    Anfang an hatte ich zwei Jobs, meine Chefin meinte, mit meinem Lebenslauf und Erfahrung krieg ich 

    das locker hin…äh… 

    Ein ganzes Jahr war hier keiner der das Personal geleitet hat. Mein jetziger Chef, Country Director, ist 

    eher wie ne Schaufensterpuppe. Was er den ganzen Tag macht, keine Ahnung, jedenfalls nicht 

    arbeiten. Wenn man also nach einem Jahr Larifari Leben hier versucht Ordnung zu schaffen, herrje, 

    das kostet so viel Energie. Wer jemals auf dem afrikanischen Kontinent gearbeitet hat, versteht mich 

    jetzt sehr gut. Es ist anstrengend. Alle Projekte die nicht klinisch sind, wurden wegen Corona 

    angehalten und es ist an mir alles wieder zum Laufen zu bringen. Eine Deutsche mit afrikanischem 

    Tempo, schwierig manchmal. 

    Ja, also die Arbeit ist ultra viel. Leider musste ich ein paar Leute entlassen, es hatte sich 

    herausgestellt, dass sie korrupt sind und Geld von Kollegen und Patienten erpressen. Und wieder 

    mehr Arbeit. Dann kamen manche mit meinem Stil nicht klar und damit, dass ich erwarte, dass sie 

    für ihr Geld tatsächlich arbeite, die sind dann freiwillig gegangen. Und nochmal mehr Arbeit. Ein paar 

    Arbeitskräfte wurden bereits ersetzt und sind eine große Hilfe, aber noch nicht Alle. 

    Freizeit. Kaum zu glauben, aber seit ich hier bin war ich vielleicht 4 Mal am Strand. Ich arbeite 

    eigentlich jeden Tag, auch an Wochenenden und Feiertagen. Und wenn ich mal frei habe, dann bin 

    ich so müde, dass ich es nicht an den Strand schaffe. Dazu kommt, wenn man da wohnt wo man 

    arbeitet, dann hat man nie frei. Work – Life – Balance…ha ha ha. 

    Inhalt meiner Arbeit. Also die meiste Zeit ist es echt schön, weil wir so vielen Frauen helfen, die 

    Mortalitätsrate senken, Sierra Leone ist Platz 1 weltweit mit 1,360 toten Müttern pro 100,000 

    Geburten. 11% aller Kinder sterben vor ihrem 5. Lebensjahr. Wir arbeiten hart daran, diese Zahlen zu 

    reduzieren und tatsächlich, wer es zu uns ins Krankenhaus schafft, der hat gute Chancen. Auch wenn 

    wir dieses Jahr schon ein paar Patienten und Babys verloren haben. 

    Dann sind da die Frauen mit Fistula, manche leiden darunter seit mehr als 20 Jahren. Verbannt von 

    Freunden und Familie führen sie ein einsames Leben. Stofffetzen dienen als Pampers, das sie Stuhl 

    oder Urin nicht mehr kontrollieren können. Es gibt weltweit ein paar Spezialisten die auf diese Art 

    Operation trainiert sind und es werden immer mehr. Wir helfen hunderten von Frauen zurück ins 

    Leben zu finden. Und das macht mich glücklich. 

    Aber dann sind da auch die SGBV Mädchen und Frauen. Opfer von Gewalt jeglicher Art, in 99% aber 

    sexueller Missbrauch. Wir hatten die letzten Wochen ein Mädchen bei uns, 16 Jahre, das seit Jahren 

    von ihrem leiblichen Vater als Sexsklavin gehalten wurde. Bis dann mit 16 schwanger wurde. Er hat 

    sie zu Hexendoktoren geschleift, sie wurde dort gefesselt und gefangen gehalten, Hexendoktor 

    Rituale vollzogen, giftige Substanzen musste sie trinken. Als alles nichts half, hat er sie übelst 

    zusammen geschlagen und ihr so oft in den Bauch getreten und geboxt bis sie schliesslich stark 

    blutend bei uns gelandet ist. Sie hat das Baby tot geboren. Ich sage, zum Glück, sie hätte es sowieso 

    nicht lieben können und für ihre Psyche ist das die bessere Lösung. Ich bin die letzten Wochen mit 

    dem Mädel Seite an Seite gegangen und habe versucht sie bei allem zu unterstützen. Bei ihrer 

    Genesung, all den Polizei Interviews, mittlerweile ist sie gesund (körperlich) und bei einer 

    Hilfsorganisation die sich um solche Fälle kümmert. Es geht ihr langsam besser und ich besuche sie 

    einmal die Woche um sicherzustellen, dass es wirklich gut geht. Tja, das sind dann die Fälle die an 

    die Psyche gehen. Aber sie heute zu sehen, im Vergleich zu vor ein paar Wochen, das tut so gut. Sie 

    lebt und hat eine Chance, was einem Wunder gleicht. 

    Tja und dann hätten wir da noch die allgemeine Gesamtsituation. Freetown ist ein Kessel, 

    geographisch gesehen aber auch politisch. Die Menschen sind so dermaßen frustriert und verärgert 

    über die Regierung, der Kessel kocht. Man muss wissen, die Menschen hier sind nach wie vor 

    traumatisiert vom Bürgerkrieg. Der wurde 2002 beendet indem man die Rebellen mit Geld 

    bestochen hat. Und man hat ihnen Mopeds gespendet damit sie ein Business starten können. Die 

    Opfer bekamen nichts. Der Krieg war zu Ende und niemand hat jemals wieder darüber gesprochen. 

    Rebellen die ganze Familien geköpft und verbrannt, Mädchen und Frauen vergewaltigt, 

    Schwangeren die Bäuche aus Spaß aufgeschlitzt haben um zu sehen ob es ein Junge oder ein 

    Mädchen wird, diese Rebellen leben Tür an Tür mit den Opfern. Und alles was der Präsident zu 

    sagen hatte war, vergeben und vergessen. Wie kann man das vergeben? Schwer. Vergessen? 

    Unmöglich. Also das schmorrt in jedem einzelnen hier, der den Krieg erlebt hat. Und keiner hatte je 

    psychologische Hilfe, keiner konnte verarbeiten. Wie sich das äussert? Die Menschen sind nach 

    aussen sehr kaltherzig, heul nicht rum wenn dein Kind stirbt, du musst stark sein. Stell dich nicht so 

    an. Die Menschen hier rasten wegen jeder Kleinigkeit aus. Ein kleiner Streit eskaliert immer! Freunde 

    und Familie gehen sehr schnell aufeinander los. Frauen und Mädchen zu vergewaltigen ist für viele 

    nicht einmal ein Verbrechen, das wurde nach dem Krieg einfach so weitergeführt. Sierra Leone ist 

    eine Präsidialrepublik. Was das in der Praxis bedeutet: Der Präsident hat das Sagen, Gerichte hören 

    auf ihn, von unabhängigen Gerichten kann hier nicht die Rede sein. Verbrecher die mit irgendeinem 

    Regierungsangestellten verwandt sind kommen in der Regel frei. So z.B. als ein 5 jähriges Mädchen 

    vom Onkel so schwer sexuell missbraucht wurde, dass es gestorben ist. Die Mutter hat es geduldet. 

    Täter und Mittäter sind freie Menschen weil sie mit irgendjemand Wichtigem verwandt sind. Wenn 

    Menschen demonstrieren, was sie offiziell dürfen, kommt Polizei und Armee und schlägt die 

    Demonstration äusserst gewaltvoll nieder. Keiner darf aufmucken sonst gibts was auf die Mütze. Die 

    Menschen werden nach wie vor unterdrückt, nicht offiziell, aber in der Realität ist es so. Der 

    Präsident verprasst Millionen für Feste und Urlaube während die Menschen hier hungern. Ja, der 

    Kessel kocht. In den letzten beiden Wochen besonders. Studenten haben protestiert, dafür wurden 

    sie von der Armee brutal niedergeschlagen. Die Putzkräfte im größten Krankenhaus haben gestreikt, 

    die Ärzte haben sich angeschlossen. Die Ärzte im ganzen Land. Somit ist das größte Krankenhaus 

    total verdreckt und die medizinische Versorgung im ganzen Land noch schlechter als zuvor. 

    Die Krönung waren dann die Okada (Moped) Fahrer die letzte Woche auf die Barrikaden gegangen 

    sind. Sie haben die halbe Stadt angezündet, Krawalle überall, Armee überall, zwei Tote. 

    Also ja, der Kessel kocht und ich habe das Gefühl es wird immer schlimmer und es ist eine Frage der 

    Zeit bis hier wieder ein Krieg ausbricht. Ich bin mir fast sicher, dass dies in naher Zukunft geschieht. 

    Die Anzeichen sind da, Gerüchte sagen, die Armee formiert sich zu Gruppen. Ich hoffe, es sind 

    Gerüchte, ich hoffe, ich täusche mich. Noch so ein Disaster, nach Krieg, Erdrutschen und Ebola, kann 

    dieses Land nicht aushalten, dann ist es wirklich am Boden. Wenn es nicht schon soweit ist. 

    Das Land und die Menschen überleben nur Dank Hilfe von mehr als 200 Hilfsorganisationen, sollten 

    die sich eines Tages zurückziehen, dann kann den Menschen nur noch Gott helfen. 

    Also die letzten beiden Wochen da habe ich mich schon ein bisschen mulmig gefühlt. Überall Armee 

    mit Maschinengewehren, Aufständische die die halbe Stadt angezündet haben. Das war irgendwie 

    komisch. Ich bin ruhig geblieben weil ich mir dachte, wenns gefährlich wäre, hätten verschiedene 

    Hilfsorganisationen schon ihre Leute nach Hause geholt. Und ja, es hat sich wieder beruhigt. Mal 

    sehen wie lange. 

    Und die Summe all dessen, die Summe, die erschöpft mich einfach. Wenn der ganz normale Alltag 

    schon so eine Herausforderung ist. 

    Aber, es gibt auch manchmal Tage, da wendet sich alles zum Guten. Meine Chefin hat mir den Job 

    des Country Directors angeboten. Mein nutzloser Chef wird uns Ende Mai verlassen (Thank God!) 

    und ab dem 1.6. bin ich hier dann der Chef. Haha! Nach drei Monaten (meine Probezeit ist eigentlich 

    6 Monate) trauen sie mir also zu den Laden hier zu übernehmen. Nachdem wir den ganzen April 

    über verhandelt haben, sind wir uns endlich einig und nach einer Einarbeitungsphase von 4 Wochen 

    übernehme ich dann. Ich rechne schon jetzt mit weiteren Entlassungen und Kündigungen 😉

    Wichtiger als eine Gehaltserhöhung waren mir zwei Dinge: 

    1. Sie bezahlen mir ein Appartment ausserhalb der Klinik 

    2. Ein Heimflug im Sommer, einer an Weihnachten 

    Gehaltserhöhung gabs trotzdem auch. Wahrscheinlich habe ich noch zu wenig gefordert, ich bin 

    schlecht wenn es um sowas geht. 

    Aber am Ende haben sie allem zugestimmt und ich ziehe Mitte Juni in ein 3Zimmer Appartement, 

    also genug Platz für Besucher :-) 

    Ich kann es nicht erwarten hier auszuziehen! 

    Es geht also bergauf. Naja, warten wir ab, aber im Moment sieht es so aus. Die Arbeit wird sicher 

    nicht weniger, aber allein, dass ich meine eigene Wohnung in sicherer Entfernung zur Klinik habe, ist 

    schon mehr als ein Lichtblick. 

    Und dann sind es nur noch 3 Monate bis ich für 3 ½ Wochen nach Hause fliege. Selten habe ich mich 

    so auf Zuhause gefreut! Ich brauche echt eine Pause. 

    Ob es richtig war, den Job anzunehmen, ich habe ehrlich keine Ahnung, noch mehr Arbeit. Aber ich 

    habe mir fest vorgenommen, wenn ich erstmal hier ausgezogen bin, kümmere ich mich auch mehr 

    um meine Work-Life-Balance. 

    Tja, also Frau Direktor übernimmt jetzt bald und wird alle Energie darauf verwenden den Laden zum 

    Laufen zu bringen. Ich habe mir vorgenommen ein Jahr durchzuhalten und dann mal sehen ob ich 

    noch ein weiteres Jahr dranhänge 😊 Für meinen Lebenslauf ist der Aufstieg natürlich Bombe, für 

    meine geistige Gesundheit…wir werden sehen. 

    Was ich in den letzten Wochen verstärkt gelernt habe ist, wie man innerlich total ausrasten kann 

    und sich äusserlich nichts anmerken lässt und gelassen bleibt. Das ist eine Kunst die man hier schnell 

    lernen muss. Innerlich raste ich fast täglich aus. Äusserlich bin ich sowas von gechillt. 

    Was ich euch heute auf mit auf den Weg geben möchte: 

    Mir ist wirklich bewusst, wie sehr euer Leben in Deutschland durch Covid gerade eingeschränkt ist. 

    Wirklich. Es ist scheisse, dass man nicht mit Freunden Essen gehen kann, Geburtstage nicht feiern 

    kann, dass Gruppensport untersagt ist, Vereinsfeste, dass Vieles nur noch online stattfindet, man 

    Familienmitglieder oder Freunde seit Monaten nicht gesehen hat. All dies ist mir bewusst. Was euch 

    in all dem Frust vielleicht hilft, ändert mal eure Perspektive. Erweitert euren Blick. Seht in die Welt. 

    Man soll nicht vergleichen, ja vielleicht, aber ich tu es trotzdem. Seid euch bewusst, wie gut es euch 

    in Deutschland immer noch geht. Es gibt Länder, da gibt es überhaupt keine Unterstützung. Es gibt 

    Länder, die mit solchen Krankheiten täglich leben und die kein funktionierendes Gesundheitssystem 

    haben. Alle 2 Minuten stirbt auf der Welt ein Kind an Malaria, 7.000 Menschen jedes Jahr in Sierra 

    Leone, nur an Malaria, da sind die ganzen anderen Krankheiten noch nicht mit gerechnet. Und es 

    gibt keinen Impfstoff, noch nicht. Wir sind hier von Covid bisher ziemlich verschont geblieben, zum 

    Glück, denn wenn es hier richtig losgehen würde, tja dann gibts ne handvoll Beatmungsgeräte für 

    Millionen Menschen. Vorausgesetzt man kann sich einen Krankenhausaufenthalt leisten, das sind 

    vielleicht 10% der Bevölkerung. Nur mal so zur Info, das einzige Krankenhaus in Freetown für 

    Erwachsene die eine Operation benötigen, fordert dich auf sämtliche Medikamente und was sonst 

    so nötig ist (Pflaster, Verbände, etc.) selbst mitzubringen, das gibts nicht mitgeliefert. Was also wenn 

    du kein Geld hast… 

    Das Leben mit Covid ist schwer, ich weiß, aber dreht den Spieß doch um und versucht positives um 

    euch herum zu sehen. Wenn man in Deutschland lebt, fällt das schwer, aber mit Abstand kann ich 

    euch sagen, es gibt so viel für das man dankbar sein kann. Ihr habt keine Vorstellung wie gerne ich 

    mal wieder meine Haare unter fliessendem Wasser waschen würde! Damit mal wirklich die Spülung 

    komplett rausgeht und die Haare nicht dauerhaft irgendwie schmalzig sind. Fließendes Wasser ist ein 

    Geschenk! 

    Ihr drückt den Schalter und das Licht geht an, immer. Das ist ein Geschenk! 

    Ihr seid sicher. In Deutschland bricht mit Sicherheit nicht in naher Zukunft ein Krieg aus. Ihr seht 

    nicht täglich Soldaten mit Maschinengewehren, die irgendwie für mich manchmal immer noch 

    beängstigend sind. Ihr seid sicher! Und ihr habt ein Dach über dem Kopf. 

    Vor ein paar Wochen ist ein Slum fast komplett niedergebrannt, sämtliche Blechhütten dahin. 

    Tausende Menschen leben jetzt notdürftig in Zelten oder unter freiem Himmel. Die Regenzeit steht 

    vor der Tür, ein paar mal hat es schon geregnet. Und der Regen hier ist wie eine gute Dusche in 

    Deutschland. Es schüttet wie man es sich schlimmer nicht vorstellen kann. Was wird dann aus diesen 

    Menschen. Ich befürchte unser Krankenhaus bricht in der Regenzeit aus allen Nähten. Meine Familie 

    hat diesen Slum übrigens mit mir zusammen besucht und kennt einige Bewohner von da. 

    Ihr habt prall gefüllte Supermärkte! Was ein Paradies! Geht mal in den Supermarkt und schaut euch 

    um, das ist unglaublich in was für einem Luxus Deutschland schwebt. Es gibt Alles und zwar IMMER! 

    Nur mal so für euch zum Vergleich: Wenn ich mir mal Nutella gönnen will, dann überlege ich echt 5 

    mal, ein kleines (klitzekleines) Glas Nutella kostet hier 7! Euro. 200gr Nescafe Instant kostet 7-8 Euro, 

    nicht dass ich Nestle unterstützen möchte, aber es gibt nur das. Hab mir jetzt so ne PressKaffeemaschine gekauft und gönne mir manchmal Kaffeebohnen, 500gr 12-20 Euro. Duschgel: mind. 

    4 Euro, Shampoo und Spülung 8-10 Euro. 

    Also nur mal so zum Vergleich. Und ich verdiene mich hier nicht reich. Also, denkt beim nächsten 

    Supermarkt Einkauf an mich und versetzt euch in meine Lage, ich würde ziemlich viel dafür geben 

    wenn e shier einen Aldi, Lidl oder Edeka gäbe. Was auch immer ich kaufe, ich schätze jeden 

    einzelnen Gegenstand! 

    Ihr könnt jederzeit zum Arzt. Egal zu welchem Arzt. Ich leide seit ein paar Wochen wirklich schlimm 

    unter einer echt blöden Hautkrankheit, das Wasser mit dem ich mich wasche ist echt dreckig und 

    teilweise waren Füsse und Hände so infiziert, dass sich eitrige Blasen gebildet haben. Sehr 

    Schmerzhaft und super eklig. Meine Kollegen haben mir verschieden Salben gegeben, nix hat 

    geholfen, habe dann einige Woche Antibiotika geschluckt, jetzt hält es sich in Grenzen, ist aber 

    immer noch da. Meine Kollegen und ich schütten jetzt in unsere Duscheimer eine Kappe von einem 

    Desinfektions-Putzmittel und seitdem wirds langsam besser und die Haut juckt nicht mehr so. 

    PUTZMITTEL! Ich rieche also ständig nach Frisch geputztem Badezimmer. Aber das ist das Einzige 

    was hilft. In Deutschland trinke ich Wasser aus dem Wasserhahn. Ich wäre gerne zu einem Hautarzt 

    und hätte mir was verschreiben lassen, das Problem ist nur, es gibt hier keine Hautärzte. 

    Ich weiß, man soll nicht vergleichen und es muss sich auch keiner für das Luxusleben in Deutschland 

    schämen. Ich bin sehr sehr froh und dankbar, in Deutschland aufgewachsen zu sein und für meinen 

    deutschen Pass klatsche ich täglich Applaus. In Deutschland geht man so schnell nicht unter. Man 

    verliert mal den Boden unter den Füßen, aber irgendeine Hilfe gibt es doch. Man verhungert nicht 

    und man hat ein Dach über dem Kopf. Ja, nicht ideal, ja die Wirtschaft geht den Bach runter und die 

    nächsten Generationen werden noch an diesem Disaster zahlen, aber wir haben auch jahrzehntelang 

    den Solibeitrag bezahlt und keiner hat aufgemuckt und sich gewehrt. 

    Was ich sagen will, vergleicht nicht, das kann man nicht, ich lebe in einer anderen Welt. Aber 

    verändert mal die Perspektive und den Blickwinkel. Versucht, auch wenn’s schwer fällt, etwas 

    Positives zu sehen. Wertschätzt was ihr habt und seid trotz Allem bitte noch dankbar. 

    Und was Home Schooling, Home Office, Videocalls mit Freunden und Familie angeht, ja live sehen 

    wäre schöner, aber ganz ehrlich, ich bin super dankbar dafür! Das ist die Einzige Möglichkeit meine 

    Familie zu sehen und zu hören! Ich liebe das Internet, es lebe hoch! 

    So, das war’s für heute. Viel geschrieben und was habe ich eigentlich sagen wollen? Ach ja, steht 

    morgen früh auf und sagt einfach mal DANKE . Ihr habt ein großartiges Leben! Ich übrigens auch 😊

    Bleibt gesund und beim nächsten Nutella-Brot denkt an mich 😉

  • Sierra Leone 2.7 - Der schlimmste Anruf

    Sierra Leone 2.7 - Der schlimmste Anruf meines Lebens

    Die letzte Woche war ein Auf und Ab meiner Gefühle. Wir haben endlich ein Haus 

    für unser Skill Trainings Programm gefunden, aber dies ist eine andere Geschichte, 

    nächste Woche mehr dazu. Das war das Auf. 

    Das Ab war Fatmata. Ich habe schon über sie geschrieben, sie war vor einiger Zeit 

    bei uns und wurde operiert. Fatmata, ihre Mutter Christiana und ich haben sehr viel 

    Zeit zusammen verbracht. Wir haben jeden Abend Geschichten gelesen, 

    zusammen gesessen und gelacht und erzählt. Kekse verdrückt. Und auch Joan 

    war Teil unserer kleinen Gruppe. 

    Und dann haben haben zusammen über den Tod von Joan getrauert. 

    Fatmata wurde vor 2 Wochen entlassen, gesund, dachten wir. Am Mittwoch kam 

    sie zurück, ihre Mutter hat sie zu uns gebracht, getragen, Fatmata konnte nicht 

    mehr alleine laufen und hatte Schmerzen. Ich habe sie direkt am Mittwoch Abend 

    noch besucht. Sie konnte nur sehr leise wimmern, kaum zu verstehen, hat sich 

    ständig übergeben. Aber sie war bei Bewusstsein. Am Donnerstag konnte sie nicht 

    mehr reden, aber war noch bei Bewusstsein. Ab Freitag wurde sie bewusstlos und 

    unsere Ärzte waren ratlos. Wir haben sie in das einzige Kinderkrankenhaus 

    überwiesen. Am Freitag. Als ich 2019 in Sierra Leone war, habe ich mit diesem 

    Krankenhaus zusammen gearbeitet. Ich weiß sehr gut, was da vor sich geht. Wie 

    schlimm die Zustände sind. Es mangelt an Allem, fängt schon bei 

    Fieberthermometern an. Es fehlt an Platz, Betten, Ärzten, Schwestern. Je nach 

    Größe teilen sich 2-4 Kinder ein Bett. Als ich erfuhr, dass Fatmata dorthin 

    überwiesen wird, habe ich mich geistig schon darauf eingestellt, sie nicht lebendig 

    wieder zu sehen. Nicht weil ich pessimistisch bin, einfach realistisch. Die Zustände 

    dort sind fürchterlich. Aber es ist die einzige Option. Es ist das einzige 

    Kinderkrankenhaus im Land und dort sind sie immer noch besser ausgestattet als 

    wir hier. Wir sind spezialisiert auf Unterleibsoperationen, wir haben zwar 4 

    Kinderärzte, aber die sind fit in Malaria, Typhus und Kinderkrankheiten. Was mit 

    Fatmata los war, keiner hatte eine Ahnung. Die Laborergebnisse machten keinen 

    Sinn. Am Samstag bin ich zusammen mit der Krankenschwester die sie bei uns 

    betreut hat, zu ihr gefahren und habe sie besucht. Und ihr Zustand war noch 

    schlimmer. Ihre Nieren haben begonnen zu versagen. Wir konnten nicht lange 

    bleiben, eigentlich war nur ein Besucher pro Patient erlaubt, wir waren zusammen 

    mit Mutter, Tante und Großmutter schon 5. Ich bin nach kurzer Zeit wieder raus auf 

    den Parkplatz, wissend, dass diese Geschichte nicht gut ausgehen wird. Und ich 

    wollte nicht der Familie Zeit mit Fatmata stehlen weil ich sie sehen wollte. Ihre 

    Mutter sollte bei ihr sein.

    Als wir wieder nach Hause gefahren sind, hatte ich so ein richtig schlimmes Gefühl 

    im Bauch. Und dieses Gefühl sollte mich nicht getäuscht haben, 5 Stunden später 

    hat Christiana mich angerufen. Ich konnte erst gar nichts verstehen. Sie hat nur ins 

    Telefon geschrien.

    Irgendwann wurde sie etwas ruhiger und unser Gespräch war ungefähr so:

    Becky, sie ist gegangen, sie ist gegangen!

    Ich habe sie verloren,

    sie war mein Freund, meine Liebe, mein Alles

    Becky hilf mir doch, das tut so weh und ich bin so am Ende

    Ich bin so am Ende.

    Sie hat mich verlassen, sie ist gegangen

    Was soll ich denn jetzt machen

    Becky, ich hab sie verloren!

    Ich erinnere mich an jeden einzelnen Satz, weil sich das in mein Hirn und Herz 

    gebrannt hat. Sie war kaum fähig mir zuzuhören, aber ich wusste sowieso nicht 

    was ich sagen sollte. Ich habe ihr nur gesagt, wie sehr es mir leid tut und wie sehr 

    ich ihre Tochter geliebt habe und ich sie in meine Gebete einschliesse. Dass ich 

    Christiana all meine Liebe sende und ich jederzeit für sie da bin. Ich habe noch 

    sicher gestellt, dass sie bei ihrer Schwester und Mutter ist und nicht allein und 

    habe ihr gesagt, dass ich sie am nächsten Tag wieder anrufe. Dies war das 

    schlimmste Gespräch meines Lebens. Was sagt man denn einer Mutter die gerade 

    ihr einziges Kind verloren hat. Die beiden waren wirklich ein Team. So eine 

    liebevolle, herzliche Beziehung sieht man hier nicht so oft. Das Land ist hart, die 

    Menschen sind hart, selbst die Sprache Krio ist hart. 

    Wenn man hier einem Menschen mitteilen will, dass man mit ihm fühlt, dass es 

    einem leid tut, dann sagt man: ‘Osh ya’. Das kommt aus dem englischen von: 

    ‘verstummen’, ‘zum schweigen bringen’. Wenn also eine Mutter ein Kind verliert 

    und weint, dann sagen die Menschen: ‘sei still’. Oder sie sagen: ‘nor de cry ya’, 

    ‘hör auf zu weinen’.

    Oder: ‘Na fo beya ya’. Was bedeutet: ‘keine Wahl, den Schmerz musst du halt jetzt 

    aushalten’. 

    In einem Land in dem 10% aller Kinder nicht das 5. Lebensjahr erreichen, ein Land 

    mit der höchsten Müttersterblichkeitsrate der Welt mit 1.360 von 100.000 Müttern 

    die bei der Geburt sterben, die Lebenserwartung bei 50 Jahren liegt, da lernt man 

    sehr früh, hart zu sein. Kinder fangen sehr früh an zu arbeiten, Wasser zu holen, die 

    Wäsche zu waschen, auf dem Markt zu stehen und zu verkaufen. Frauen 

    bekommen hier im Schnitt 4-6 Kinder, sie wissen, dass mindestens zwei nicht sehr 

    alt werden. Und Kinder sind hier die Rente. Wenn du im Alter keine Kinder hast die 

    dich unterstützen dann hast du in diesem Land verloren. Alles ist hier hart, 

    unbarmherzig. Dass also Mütter so herzlich mit ihren Kindern umgehen, das ist 

    sehr selten. Kinder dürfen nicht weich gemacht werden, von klein auf müssen sie 

    abgehärtet sein und nicht verweichlicht. Gefühle zeigt man selten. Nicht, dass 

    Mütter nicht leiden wenn ihre Kinder sterben oder dass sie ihre Kinder nicht lieben, 

    das tun sie. Aber das wird selten nach Außen gezeigt. Bei Christiana und Fatmata 

    war das anders, die beiden waren echt ein richtig herzliches Team. Und Christiana 

    tut mir so sehr leid. Ich leide schon, weil die beiden mir nahe stehen. Weil Fatmata 

    einfach so ein süßes und unglaublich hübsches Mädchen war. Weil wir so viel Zeit 

    zusammen verbracht haben. Es hat mir das Herz gebrochen, wie muss es erst der 

    Mutter gehen. Ich habe ehrlich keine Ahnung wie sie das aushalten kann.

    Hinter all den Statistiken und Sterberaten stehen Menschen. Wenn man das Alles 

    so liest, ja dann ist es traurig und schockierend. 

    Wenn man aber die Menschen hinter diesen Statistiken kennt, dann bricht es 

    einem das Herz, immer und immer wieder.

  • Sierra Leone 2.6 Keine Ahnung

    Sierra Leone 2.6 - Keine Ahnung was ich heute schreiben werde

    Ich fange heute einfach mal an zu schreiben, mal sehen wo wir enden. Also erstmal Danke für die 

    netten Worte nach dem letzten Newsletter. Es hat geholfen, mich aufgebaut und mir ging es 

    danach viel besser. Ganz speziellen Dank an Tobi, ich hatte noch keine Zeit zu antworten, aber 

    deine Email war echt super. Von einer ganz anderen Seite gesehen, rational die Situation 

    betrachtet, hast du mir wirklich weiter geholfen.

    Also ich weiß auch nicht, ich schwanke jede Woche zwischen ‘Jetzt reicht’s, ab nach Hause’ und 

    ‘So schlimm ist es jetzt auch wieder nicht, stell dich nicht so an’. Das ist echt verrückt. 

    Ich arbeite ziemlich viel, war bisher 3 mal am Strand, also den abendlichen Strandlauf nicht mit 

    gerechnet. Ich bin am Wochenende oft so erschöpft, dass ich gar nichts mache. Oft Samstags 

    noch den halben Tag arbeite und dann mit meiner Malawi Gang abhänge. Okay, die 

    Ausgangssperre hat auch dazu beigetragen. Der Kampf gegen Covid findet auch hier statt. 

    Meistens auf völlig verrückte, unlogische, nicht wirklich hilfreiche Art. Z.B. 90% der Menschen 

    tragen ihre Maske am Kinn. Märkte sind immer offen und da drängeln sich hunderte von 

    Menschen. Restaurant, Bars und Clubs waren die letzten 5 Wochen geschlossen, Bars und Clubs, 

    okay, verstehe ich, aber Restaurants sind die Einzigen die für Abstand sorgen, man muss eine 

    Maske tragen und Hände desinfizieren. Die Menschen auf der Straße werden nicht kontrolliert 

    oder bestraft wenn sie keine Maske tragen, man muss nur eine dabei haben, ob am Kinn oder in 

    der Tasche egal, so kommt man durch. Im Auto allerdings, muss man eine Maske tragen und wird 

    an den Straßensperren kontrolliert. Ob man mit Ehepartner oder allein im Auto sitzt, wenn du 

    keine Maske aufhast, zahlst du. Ich wurde letztens angehalten als ich allein Auto gefahren bin. 

    Hatte natürlich keine Maske auf, bei 40 Grad und allein im Auto. Die wollten tatsächlich Strafe 

    kassieren. Ich habe den Polizisten darauf hingewiesen, dass während wir diskutieren mindestens 

    30 Menschen ohne Maske an uns vorbei gelaufen sind. Er hat es nicht eingesehen. Ich bin dann 

    einfach weiter gefahren und habe ihn ignoriert. Was soll schon passieren, er kann mir ja schlecht 

    hinterher rennen. Die Polizei ist hier so lächerlich, die nimmt eh keiner ernst.

    Ah, okay, ich könnte heute ein paar lächerliche Polizei Geschichten erzählen…

    Also, ein guter Freund und sein Fahrer sind im Auto unterwegs. Auf ihrer Straßenseite ist Stau, 

    kilometerlang. Also wechselt sein Fahrer die Straßenseite und fährt einfach auf der Gegenseite. 

    Das ist hier nicht unüblich, juckt auch keinen. Weil Verkehrsregeln gibts eh keine. Man muss also 

    immer gut aufpassen wenn man die Straße überquert. Also gut, der Fahrer meines Freundes fährt 

    also auf der Gegenspur und wird von der Polizei angehalten. Sie diskutieren und mein Freund 

    sucht schon Geld zusammen um zu bestechen. Da steigt der Fahrer aus und klatscht dem 

    Polizisten eine. Also so richtig, fette Ohrfeige mitten ins Gesicht. Steigt ein und fährt seelenruhig 

    weiter. Mein Freund so: “ ey, hast du dem jetzt eine verpasst?” Dennis, der Fahrer: “ Ja klar, der 

    spinnt doch!”

    Die Polizei wird hier respektiert…Nicht!

    Noch ein Beispiel? Kein Problem! Es gibt genug!

    Letzte Woche Samstag, 2:30 Uhr mitten in der Nacht. Ich wache auf weil im Hof und in der 

    Geburtsklinik unter mir ein paar Leute unglaublich laut diskutieren. Eigentlich diskutieren sie nicht, 

    sie schreien. Ich super wütend, weil, endlich schreit mal keine gebärende Frau und ich finde 

    Schlaf, da wecken mich irgendwelche Idioten auf. Also mich aus einer Tiefschlafphase zu reissen 

    ist überhaupt keine gute Idee. Raus aus dem Bett und runter, in Schlaf-shorts und Shirt, ohne BH, 

    ohne Unterhose, egal, juckt hier eh keinen. Unten treffe ich auf 5 Männer, besoffen und aggressiv 

    im Duell gegen unsere Security und die Hebammen und Krankenschwestern. Ich checke erstmal 

    gar nichts, es ist mitten in der Nacht, ich schlafe noch halb und versuche irgendwie dazwischen 

    zu gehen und rauszufinden, was eigentlich irgendwelche Typen bei uns auf dem Gelände machen. 

    Wir sind eine Tagesklinik für Kinder und wenn die Kinderklinik zu macht, sind keine Männer auf 

    dem Gelände erlaubt. Ausnahme sind Väter die ihre Neugeborenen besuchen, Blutspender oder 

    Besucher der anderen Patienten. Aber sicher nicht um 3 Uhr Nachts. Schon gar nicht aggressiv 

    und brüllend. Wir haben Mädchen die ein Vergewaltigungstrauma hinter sich haben, immer noch 

    traumatisiert sind, das letzte was sie brauchen sind aggressive Männer. Ich werde immer 

    wütender und schreie mittlerweile auch. Meine Mädchen und Frauen sind mir heilig, da kann ich 

    wirklich ausrasten wenn etwas nicht so läuft wie ich es will oder wenn jemand sie auf irgendeine 

    Weise erschreckt oder schlecht behandelt. Also schreien so an die 20 Leute sich gegenseitig an, 

    keiner blickt mehr durch. Meine Wohnungsnachbarin, klinische Direktorin und Chirurgin ist 

    mittlerweile auch wach und steht auf dem Balkon und beobachtet uns. Nur mit einem Handtuch 

    bekleidet. Die Situation ist völlig verrückt. In der Zwischenzeit sind alle Patienten wach und 

    hängen an den Fenstern, die Nachtschwestern sind auch von ihren heimlichen Schläfchen 

    aufgewacht. Ich schaffe es eine Hebamme auf die Seite zu ziehen und sie erklärt mir, die Männer 

    haben eine Patientin gebracht und jetzt spinnen sie irgendwie rum. Während wir reden, sehe ich 

    dass zwei Männer mit ihren Bechern voller Alkohol in die Geburtsstation marschieren und einer 

    auf unsere Security einschlägt. Das ist der Moment in dem ich völlig ausraste. Ich schreie so laut 

    und schrill, dass alle verstummen und mich anstarren. Den Schock-Moment nutze ich und 

    schiebe die Typen aus der Klinik Richtung Auto. Einer ist noch einigermaßen vernünftig und dem 

    erkläre ich, wenn sie nicht in einer Minute verschwunden sind, rufe ich meinen Freund, den OberChef der Polizei in Freetown an und lasse hier eine Horde von Polizisten einmarschieren. Dann 

    erkläre ich weiter, dass wir eng mit dem Präsidenten und seiner Frau zusammen arbeiten und ich 

    sicherstelle, dass er davon erfährt und dass sie jahrelang im Gefängnis verrotten werden.

    Das zieht. Er schnappt sich seine Freunde und sie verschwinden. Nicht, dass ich den Ober 

    Macker der Polizei kenne oder der Präsident den Hörer abnehmen würde wenn ich anrufe, aber 

    sie haben es geglaubt und nur das zählt. Gut, unsere Klinik ist hoch angesehen in Sierra Leone, es 

    gibt niemanden der uns nicht kennt und die Präsidenten Frau kommt ein paar mal im Jahr zu 

    Besuch, aber in so einer Situation hilft das auch nicht wirklich.

    Die Typen sind weg und ich lasse mir in Ruhe erzählen was eigentlich los war. Die Typen haben 

    eine hochschwangere Patientin gebracht, die starke Schmerzen hatte. Mit ihr noch ihre beiden 

    Töchter, 5 und 7. Die beiden Mädchen sitzen total verschüchtert auf einer Bank, die Mutter wird 

    inzwischen behandelt. Ich setz mich zu den Mädchen und frage was passiert ist. Die Ältere 

    erklärt:

    Die Mutter hat Schmerzen bekommen und entschieden, ins Krankenhaus zu gehen. Da wir hier 

    auch einen Lockdown haben und jeder um 22 Uhr zuhause sein muss, gibt es in der Nacht keine 

    Taxis. Also sind die Drei los marschiert zur nächsten Polizeistation und haben dort um Hilfe 

    gebeten. Die Polizisten, aus dem Schlaf gerissen, hatten natürlich null Lust die Drei irgendwohin 

    zu fahren, also haben sie das nächste Auto angehalten. Die Insassen, 5 besoffene Männer. Also 

    die Polizei will weiter schlafen und nötigt die hochschwangere Frau mit ihren beiden kleinen 

    Mädchen in ein Auto voll besoffener Männer zu steigen. Erstens, Hallo! Die fahren besoffen Auto! 

    Zweitens, Lockdown, was haben die mitten in der Nacht besoffen draußen verloren? Drittens, 

    Frauen und Mädchen werden hier ständig, also wirklich ständig, vergewaltigt. 

    Das ist also die Polizei hier. Die bockt nichts, die arbeiten nicht, bewegen sich nur, wenn du Geld 

    in der Tasche hast. Am nächsten Tag schickt mir eine Nachtschwester ein Foto vom 

    Nummernschild der Männer, um Anzeige zu erstatten. Grüne Nummer, das bedeutet, es ist ein 

    Fahrzeug von Regierungsangestellten. Also die Polizei schickt Frauen und Mädchen mit 

    besoffenen Regierungsangestellten durch die Nacht. Oh Mann. 

    Ihr erinnert euch vielleicht an meine verrückteste Kekeh Fahrt? Für diejenigen, die neu dabei sind, 

    hier die Geschichte:

    In Freetown gibt es verschiedene Möglichkeiten um von A nach B zu kommen. Da gibt es die 

    Podapoda's, Kleinbusse die so vollgestopft mit Menschen sind, dass man die lieber meidet. Ist 

    die billigste Art um vorwärts zu kommen, aber auch die schlimmste. Dann gibt es normale Taxis, 

    die sind am teuersten, die Autos schrottähnlich, aber sie fahren. Die Okada's sind Moped's die an 

    die Ex-Rebellen verteilt wurden um sie ruhig zu stellen nach dem Krieg. Sie wurden so wieder in 

    die Gesellschaft integriert und man gab ihnen eine Möglichkeit Geld zu verdienen. Die Rebellen 

    sind meist Ex-Kindersoldaten. Die Rebellen haben dem Tod ständig ins Auge geblickt und auch 

    getötet. Dementsprechend fahren sie auch, sie fürchten nicht den Tod. Die ersten Monate habe 

    ich mich nicht auf so ein Moped gewagt, aber es ist definitiv die schnellste Art zum Ziel zu 

    gelangen. Denn die quetschen sich einfach durch jede Lücke und fahren einfach wie die Sau. 

    Helme gibt es meist nicht, manchmal hat ein Fahrer einen Helm für den Mitfahrer dabei. Das sind 

    dann gerne mal Fahrradhelme oder Bauhelme, Gurte sind natürlich längst verloren, man hält den 

    Helm also mit der Hand fest. Also ob man einen Fahrer wählt, der einem einen Helm gibt oder 

    ohne Helm fährt, macht echt keinen Unterschied. Irgendwann habe ich mal angefangen Okada zu 

    fahren, weil’s mir einfach zu blöd war, stundenlang im Stau zu stehen. Todesmutig, leichtsinnig? 

    Absolut. Aber es ging ja zum Glück gut aus.

    Und am Ende sind da noch die Kekeh's, auch bekannt als Tuktuk. Mit denen bin ich eigentlich am 

    liebsten gefahren. Die meisten haben nämlich Musik an Bord und die Fahrer sind witzig und man 

    kann sich chillig während der Fahrt unterhalten. Habe ziemlich coole Typen in Keke's 

    kennengelernt, Fahrer und Mitfahrer. Manchmal habe ich ne Pizza mit dem Fahrer geteilt, 

    manchmal Cashew Kerne. Also, es war echt immer witzig. Über meine verrückteste Keke Fahrt 

    möchte ich jetzt berichten. Also die Fahrer aller Fahrzeuge sind irgendwie verrückt, muss man 

    auch sein, wenn man in Freetown fährt. Ich habe es geliebt da Auto zu fahren, denn es gibt 

    überhaupt keine Regeln. Der schnellere und größere gewinnt, es wird gequetscht und gehupt und 

    gemotzt. Fantastisch. Macht absolut Spaß. 

    Zurück zur abgedrehtesten Kekeh Fahrt. Ich hatte einen Termin beim Visa Amt und wusste nur die 

    Adresse, nicht den Weg. Bin bei nem Kekeh eingestiegen und habe versucht ihm klar zu machen 

    wo ich hin will. Wir haben uns dann so durchgefragt und schliesslich waren wir auf dem richtigen 

    Weg. Wir waren auf einer steilen Straßen, Richtung bergauf. Da kommt uns ein Pritschenwagen 

    mit Polizei und Soldaten entgegen. An den Anblick muss man sich gewöhnen, Soldaten sind 

    überall, Polizei auch. Und alle mit Maschinengewehren bewaffnet. Aber die sind eigentlich alle 

    ganz lieb. Ziemlich nutzlos, weil total korrupt, aber manchmal sorgen sie doch für Ordnung. Z.B. 

    wenn ein Taxi an einer Stelle anhält an der es eigentlich nicht halten darf. Dann jagen die den 

    Fahrer schon mal weg. Die Fahrgäste auch. Die Waffen benutzen sie nicht. Sie benutzen was in 

    Sierra Leone jeder benutz, den Bambus-Stock. Da gibts dann gerne mal eins aufn Po. Ich habe 

    mir auch mal eine Klatsche eingefangen als ich ein Taxi an einer falschen Stelle angehalten hab 

    und auch noch auf der Straße lief und nicht auf dem Bürgersteig. Die Bürgersteige sind übrigens 

    Teil der Straße und nur durch eine Schnurr abgetrennt. Also wenn du vor der Schnurr läufst, dann 

    gibts schon mal nen Klaps mit dem Stock.

    So, also da kommen uns Polizisten und Soldaten entgegen, so 10-15 Männer, auf Pritschen 

    hinten auf dem Auto. Mein Fahrer sieht die und fährt plötzlich rückwärts den steilen Berg runter. 

    Die Polizei verfolgt uns. Wir in Schlangenlinien immer schneller, ich hab den Fahrer angemotzt: 

    "Was zur Hölle machst du?" Er hat nix gesagt, als er gemerkt hat, dass er keine Chance hat zu 

    entwischen ist er einfach rausgesprungen und weggerannt. So also jetzt stellt euch mal vor, ihr 

    sitzt in nem Kekeh, es geht rückwärts den Berg runter und der Fahrer haut einfach ab und lässt 

    euch drin sitzen. Das Kekeh immer fröhlich weiter abwärts. Ich konnte überhaupt nicht reagieren. 

    Weder konnte ich nach vorne klettern um das Ding zum anhalten zu bringen, noch Schreien. Ich 

    war irgendwie so überrumpelt, hab gar nicht geschnallt was da vor sich geht. Die Soldaten sind in 

    der Zeit vom Auto gesprungen und haben die Verfolgung aufgenommen. Zwei sind mir hinterher 

    und zu mir ins Kekeh gesprungen und haben es zum Stehen gebracht. Nach dem Schock allein in 

    dem Ding abwärts zu rollen, fand ich mich also zwischen zwei Soldaten mit Maschinengewehren 

    wieder. Ich hatte keine Angst, ich war nur so verdutzt. Passierte das echt grad? Hab die beiden 

    nur mit großen Augen angesehen und gefragt: "Verhaftet ihr mich? Was habe ich getan?" Sie 

    mich freundlich angelacht und geantwortet:" ne, der Fahrer ist falsch in die Einbahnstraße 

    gefahren, das kostet Strafe, da hat er Angst gekriegt und ist abgehauen, aber den kriegen wir 

    schon noch." Ok, wow, also es bockt echt einfach niemanden nichts in diesem Land und dann 

    biegt einer falsch in die Einbahnstraße ab und 15 Soldaten verfolgen ihn? Und ich muss um mein 

    Leben bangen? Wegen sowas?! Ich konnte es nicht fassen und musste dann echt lachen. Dieses 

    Land ist so verrückt! Jedenfalls musste ich natürlich aussteigen, das Kekeh wurde 

    beschlagnahmt, ich in brütender Hitze zu Fuß weiter. Der Kommandant hat mir noch gezeigt wo 

    ich am schnellsten ein Moped herkriege und mich losgeschickt. Nach ein paar Metern ruft er mich 

    zurück und meint:"Warte, ist echt zu heiss zu Fuß, ich habe einen meiner Leute geschickt, der holt 

    dir ein Okada." Kam auch direkt eins. Ok, also nach dem ganzen Theater darf jetzt ein 

    Okadafahrer mit mir weiterfahren, falsche Richtung Einbahnstraße?! Er lacht mich an und sagt:" 

    klar, jetzt habe ich es ja erlaubt und ich will nicht, dass du so weit laufen musst." Alter, ihr seid 

    wirklich, wirklich verrückt! Aber ich war dankbar, hätte nämlich wirklich keine Lust gehabt zu 

    laufen. 

    Mittlerweile bin ich von zwei Dingen überzeugt:

    1. Das hier ist kein Land. Das ist ein Experiment. Lass uns einfach mal ausprobieren, ohne 

    Regeln, ohne Sinn, ohne Logik. Und dann schauen wir mal was passiert.

    2. Irgendwo auf der Welt sitzen Leute vorm Fernseher und schauen uns zu. Wie in der ‘Truman 

    Show’ Wir sind hier eine Reality Show und unterhalten Menschen mit dem was wir hier Leben 

    nennen. Ernst nehmen kann man das einfach nicht.

    Wir haben in der Klinik eine Dame die für Qualitätsmanagement zuständig ist. Ihr Job ist, darauf 

    zu achten, dass Patienten ordentlich behandelt werden, dass es sauber ist, jeder die 

    Hygieneregeln einhält und natürlich ist sie auch verantwortlich dafür, dass alle Covid Maßnahmen 

    umgesetzt werden. Letzte Woche habe ich sie auf Station getroffen, Maske am Kinn, hustend und 

    rotzend. Äh, kannst du bitte deine Maske aufsetzen? Sie meinte nur, ach das ist nur ne Erkältung. 

    Nix weiter. Ok, du hast deinen Job echt verstanden. Da wir drei positive Fälle hatten, wurden wir 

    alle getestet. Zwei Wochen nachdem die Fälle aufgetreten waren. Hm. Dann mussten wir 5 Tage 

    auf das Ergebnis warten. In der Zwischenzeit wurden keinerlei Maßnahmen ergriffen. Test also 

    völlig sinnlos. Da kann man dann jeden Tag testen.

    Ich möchte hier echt gar niemanden angreifen, aber manchmal ist es schwierig. Die Generation 

    die jetzt das Land führen sollte, ist im Bürgerkrieg aufgewachsen, dann kam Ebola. Eine 

    komplette Generation war nie in der Schule. Davor auch nur wenige. Die Hoffnung liegt also auf 

    den Kindern die jetzt aufwachsen. Das macht es aber schwierig. Viele Menschen sind nur darauf 

    trainiert von einem Tag auf den anderen zu überleben. Weiter als ein Tag im voraus denkt keiner. 

    Warum auch? Keiner kann hier sparen oder gar Zukunftspläne machen. Überlebe die nächsten 24 

    Stunden. Und genau so denken die meisten Menschen im Bezug auf Alles. Es wird nicht voraus 

    gedacht. Nicht beim Auto fahren, nicht beim Planen von Arbeit für die kommende Woche oder gar 

    Monate. Nur wenige haben Ziele oder Pläne. Ach schwierig. Ich muss häufig für alle Menschen in 

    meinem Umfeld mitdenken. Beim Autofahren, bei der Arbeit, bei Allem. So anstrengend ist das.

    Diese Woche hatten wir eine Patientin die eigentlich gar nicht in unser Gebiet fällt. Aber jedes 

    andere Krankenhaus hat sie abgewiesen. Also wurde sie aufgenommen. Nachdem sie untersucht 

    wurde haben die Ärzte festgestellt, oh, die hat ja alle Ebola Symptome. In unserem Nachbarland 

    Guinea gab es wieder neue Ebola Fälle und hunderte von Menschen überqueren die Grenze 

    täglich. 

    Einige Doktoren und Schwestern waren in Kontakt mit ihr. Die Patientin wurde zwar direkt in 

    unseren Isolationsraum gebracht, aber die Schwestern und Ärzte die mit ihr in Kontakt waren, 

    nicht. Und mit denen war ich auch in Kontakt. Aber ich habe hier gelernt, nicht auszuflippen bevor 

    ich nicht sicher bin, dass es wirklich nötig ist. Sonst verschwendet man echt zu viel Energie. Ärzte 

    und Pfleger eines Regierungskrankenhauses das auf Ebola trainiert ist, kamen um sie zu testen. 

    Der Test dauert allerdings 24 Stunden, mindestens. Die sind wieder abgezogen, natürlich ohne sie 

    mitzunehmen. Der Patientin ging es inzwischen immer schlechter, sie hätte eigentlich eine 

    Operation gebraucht, allerdings haben wir nicht die Chirurgen dafür, unsere Chirurgen sind alle 

    Gynäkologen. Die Krankenhäuser die ihr hätten helfen können, haben sich aber geweigert eine 

    Frau mit Ebola Symptomen aufzunehmen. Also lag sie weiter in unserem Isolationsraum und ihr 

    ging es stündlich schlechter. Am nächsten Tag kamen dann die Herren in weiß zurück und haben 

    sie doch in ein anderes Krankenhaus verlegt. Der Anblick war schon irgendwie gruselig. Am 

    Abend haben wir dann das Ergebnis bekommen, negativ, zum Glück. Aber ein kleiner 

    Vorgeschmack wie es sein könnte… Die Patientin hat leider nicht überlebt, woran sie gestorben 

    ist, weiß allerdings keiner. Ob ich dann heimfliegen würde wenn Ebola auch in Freetown 

    ankommt? Ehrlich gesagt, keine Ahnung. Kann sein, meine Organisation würde mich evakuieren, 

    aber ich weiß nicht ob ich freiwillig gehen würde. 

    Eine witzige Geschichte fällt mir noch ein. Ich habe mir einen größeren Schreibtisch für mein 

    Zimmer bestellt, der wird bei uns angefertigt, wir haben einen Schreiner der bei uns arbeitet. 

    Gestern sehe ich wie er sägt und schraubt und tut, als der Tisch schon halb fertig ist, frage ich 

    ihn, für wen der Tisch ist. Er meint: ‘das ist deiner’. Ok, also ich habe den Tisch vermessen, er hat 

    das leider vergessen das zu tun. Der ist nun so groß, dass er in der Mitte meiner Eingangstür 

    endet. Als ich ihn frage, wie zur Hölle ich nun durch die Tür komme, meint er, tja, hm, vielleicht 

    drüber klettern? Nein! Jetzt fängst du grad nochmal von vorne an und vorher nimmst du die 

    Maße.

    Oh, es ist mühsam manchmal…Aber manchmal auch schön. Wir haben letzte Woche erfolgreich 

    einen Tumor bei einem 8jährigen Mädchen entfernt. Ohne uns wäre sie gestorben, sie war schon 

    2 Monate in einem Regierungskrankenhaus und hat irgendwelche starke Medikamente 

    eingenommen, die nichts gebracht haben, ausser, dass ihr alle Haare ausgefallen sind. Jetzt ist 

    sie gesund und Fatu darf bald nach Hause.

    Wie ist das Leben in Sierra Leone? Himmel und Hölle….

    Bleibt gesund! 

    Eure Verrückte (denn das muss man sein um hier zu leben)

  • Sierra Leone 2.5 - Eine ganz normale Woche

    Sierra Leone 2.5 - Eine Woche

    Ich glaube, ich habe schon zwei Wochen nicht mehr geschrieben, obwohl ich mir so fest 

    vorgenommen habe, jede Woche zu schreiben. Aber ich konnte die Energie nicht aufbringen. Es 

    ging einfach nicht. Meine letzte Woche war hart. Und ich weiß auch nicht, aber jedes Mal wenn 

    ich denke, okay, wow, schlimmer geht’s nicht mehr. Was jetzt noch kommt, kann mich nicht 

    erschüttern. Aber ich täusche mich jedesmal. Meine Woche war super anstrengend, ich weiß vor 

    lauter Arbeit nicht mehr wo hinten und vorne ist und arbeite mittlerweile 12 Stunden am Tag. Aber 

    das ist nicht, was mich so fertig macht. Es trägt nur dazu bei. Ich möchte euch gerne teilhaben 

    lassen an meiner Woche. Vielleicht könnt ihr dann verstehen warum ich gerade ernsthaft darüber 

    nachdenke abzubrechen. Und ja, erst 5 Wochen, ja, Geduld, ja ja ja. Aber das hat überhaupt 

    nichts mit Heimweh oder Stress oder fehlenden Freunden hier zu tun. Ich habe meine Woche mit 

    zwei Mädchen verbracht. Jeden Morgen, Mittag und Abend jeweils eine Stunde. Vielleicht habe 

    ich deswegen 12 Stunden täglich gearbeitet, weil schon 3 Stunden pro Tag für die beiden Mädels 

    drauf gingen. Aber das war es wert. Schmerzhaft, aber zwingend notwendig.

    Da ist Fatmata. Sie ist 8 Jahre alt. Ich dachte, sie ist bei uns weil sie eine Fistula Operation hatte. 

    Oh nein, welch Täuschung. Ich besuche sie diese Woche und wie jeden Tag frage ich sie wie es 

    ihr geht. Wie jeden Tag sieht sie mich nur mit traurigen Augen an und redet nicht. Stattdessen 

    antwortet ihre Mutter: „Ihr geht es besser, nur die Infektion ist schlimmer geworden!“ Sagt sie und 

    hebt das Kleid von Fatmata hoch und zeigt mir ihre Vagina. Ich bin so unter Schock, dass ich 

    erstmal überhaupt nicht reagiere. Dann schaltet irgendwie mein Automatismus ein und ich fange 

    mich wieder. Ich lächle das Mädchen an und sage ihr: „Ja wirklich! Das sieht schon viel besser 

    aus! Dir geht es jetzt von Tag zu Tag besser! Bald kannst du nach Hause!“

    Das ist mein ‚Aussen‘. Mein ‚Innen‘ steht unter Schock und kann kaum verarbeiten was es sieht. 

    Eine Vagina eines 8jährigen Mädchens, das von Beschneiderinnen so übel verstümmelt wurde, 

    das kaum noch etwas an den Ursprung erinnert. Unsere Chirurgen haben ihr Bestes getan um 

    möglichst viel wieder herzustellen. Aber zaubern können auch sie nicht. Alles ist furchtbar 

    geschwollen, entzündet, blutig. Dieses Bild ist seitdem in mein Hirn gebrannt. Sobald ich die 

    Augen schließe, sehe ich alles wieder vor mir. Seitdem habe ich Angst zu schlafen und meine 

    Augen zu schließen. Dieses kleine Mädchen wurde so schlimm verstümmelt. Sie ist erst 8 Jahre 

    alt! Und sie ist völlig traumatisiert. Redet nicht, lächelt nicht, isst kaum. Ich habe schon vorher 

    beschnittene Vaginas gesehen, habe hier schon mit Strassenkindern gearbeitet, sie zum 

    Gynäkologen begleitet. Aber noch nie habe ich so eine ‚frische‘ Beschneidung gesehen. Ich 

    konnte ihren Schmerz fühlen. Wenn man das sieht, kann man sich als Frau ungefähr vorstellen 

    welche Schmerzen es verursacht, wenn am empfindlichsten Teil eines weiblichen Körpers mit 

    unscharfen Rasierklingen und ohne Betäubung rum geschnitten wird. Ich habe jeden Tag einige 

    Stunden mit Fatmata verbracht, habe Alles versucht sie aufzumuntern. Habe ihr meine GlücksSchildkröte geschenkt, mein Buch mit afrikanischen Sagen und Märchen. Ihr daraus vorgelesen. 

    Bin mit ihr spazieren gegangen, im Schneckentempo weil sie noch immer Schmerzen beim Gehen 

    hat. Und am Freitag Abend haben wir uns mit der Checker-Faust verabschiedet, sie hat mir eine 

    Geschichte aus dem Buch vorgelesen und mir ein Lächeln geschenkt. Kaum etwas hat mich 

    glücklicher gemacht, als zu sehen, dass sie ein bisschen auftaut und noch lächeln kann. Tief in ihr 

    drin ist noch irgendwo das kleine unschuldige Mädchen. Ganz tief. Und für wenige Augenblicke 

    konnte ich diese Mädchen diese Woche sehen und ein bisschen Hoffnung schöpfen.

    Aber ganz ehrlich, ich habe meine Grenze überschritten und ich weiß nicht, ob nicht ein Teil von 

    mir dabei drauf gegangen ist. Ich weiß nicht, ob ich es noch lange durchhalte. Noch ein paar 

    solcher Geschichten und ich zerbreche.

    Und da ist noch Juan, sie ist 13 Jahre alt. Wurde am Montag eingeliefert. Sie war schon mal für 

    eine Operation bei uns, damals hat man einen Tumor im Unterleib entfernt. Juan wurde mit 3 

    Monaten von ihrer Mutter verstoßen und zum Vater gebracht. Nach ein paar Jahren hat dieser sie 

    an eine Tante weitergegeben, von dort kam sie zu ihrer älteren Schwester. Und auch die hat sie 

    irgendwann vor die Tür gesetzt. 13 Jahre alt und nur von einem zum anderen geschickt. 

    Ungewollt. Dann wurde sie vergewaltigt und dabei wurden einige schlimme Schäden in ihrem 

    Unterleib angerichtet. Sie kam zu uns in die Klinik und die Chirurgen konnten alles reparieren, 

    allerdings haben sie bei dieser Gelegenheit den Tumor entdeckt. Dieser wurde erfolgreich entfernt. 

    Juan kam zu einer Hilfsorganisation die sich um obdachlose Kinder kümmert. Dort hat sie gelebt 

    bis zu dieser Woche. Unsere Partnerorganisation hat sie zu uns gebracht, weil sie über starke 

    Bauchschmerzen geklagt hat, geblutet hat und weil ihr Bauch unglaublich aufgedunsen ist. Nach 

    einigen Untersuchungen hat man festgestellt, der Krebs ist zurück. Und hat im gesamten 

    Bauchraum gestreut. Auch die Blase ist schon vom Krebs zerfressen, was bedeutet, sie ist 

    inkontinent. Nicht operabel. Juan wird sterben. Wir arbeiten jetzt mit dem Palliativ-Team aus 

    Freetown zusammen um es ihr so angenehm wie möglich zu machen und dafür zu sorgen, dass 

    sie keine Schmerzen hat. Juan war nie in der Schule. Also habe ich mich diese Woche jeden Tag 

    an ihr Bett gesetzt und ihr vorgelesen. Juan ist 13 Jahre alt!

    Ich bin also zwischen diesen beiden Mädchen hin und her gewandert, von traumatisiertem, 

    verstümmelten Mädchen, zu auch traumatisiertem, sterbenden Mädchen. 

    Also diese Woche hat alles von mir gefordert. Neben meinem normalen Job, war ich noch 

    Zuhörerin, Freundin, Sterbebegleiterin. Also, das ist nicht das erste Mal, dass ich jemandem beim 

    Sterben begleite. Aber das ist das erste Kind. Und ein Kind mit so einer Vorgeschichte. Wer sagt, 

    dass es einen Gott gibt, der soll doch bitte mal hierher kommen und mir erklären, wie so etwas 

    möglich ist! Dieses Mädchen hat bisher in ihrem kurzen Leben nur Schlimmes erlebt und jetzt wird 

    sie sterben. Was ist denn das für eine Scheiss-Welt! 

    Ich habe diese Woche meine Grenze überschritten und ich bin zerbrochen, mehrmals. Und ich 

    habe keine Ahnung wie ich das wieder reparieren soll. Und ich habe keine Ahnung, ob ich noch 

    lange durchhalte. Und überhaupt keine Ahnung ob ich das je verarbeiten kann. 

    Heute ist Samstag. Ich wollte eigentlich am Strand übernachten um meinen Kopf wieder klar zu 

    kriegen. Um zu verarbeiten. Runterzukommen. Die Polizei hat mich heute morgen zurück 

    geschickt. Nachdem wegen Covid alle Restaurants und Bars zu haben, sind jetzt auch die 

    Strände gesperrt. Na Bravo! All diese ganze Scheisse habe ich nur ausgehalten, indem ich täglich 

    meine 2 Stunden am Strand gelaufen bin. Jetzt auch noch das!

    Als ich wieder zuhause war, habe ich mich aufs Bett gesetzt und da ist Alles aus mir 

    herausgebrochen. Die Tränen kamen wie Flüsse. Lautlos. Ich saß einfach nur da und mir kamen 

    die Tränen. Eben habe ich das erste Mal auf die Uhr gesehen, es ist 18:30! Ich sitze seit heute 

    vormittag auf dem Bett und mir laufen die Tränen wie Bäche. Das ist mir noch nie passiert. Eben 

    hat mir meine liebe Freundin Sarah geschrieben und das hat mich zurück in diese Welt geholt. Ich 

    konnte mich beruhigen, die Tränen bleiben wo sie sind. 

    Ich dachte immer, ich bin stark und ich kann was aushalten. Aber das war irgendwie alles zuviel. 

    Ich bin nicht so stark wie ich gedacht habe. Und ganz ehrlich unter uns, ich will hier nur noch weg! 

    Meine Arbeit hier ist so wertvoll und Menschen, insbesondere Frauen und Mädchen zu helfen, das 

    hat mich so erfüllt. Aber ich weiß nicht, ob ich es schaffe. Vielleicht, gebe ich das erste Mal in 

    meinem Leben auf. 

    Wenn ihr euch je überlegt Geld zu spenden, dann sucht euch doch eine Organisation die gegen 

    die weibliche Beschneidung kämpft. Diese kleinen Mädchen gehen durch die Hölle und jeder der 

    beim Kampf gegen Beschneidung mit macht, ist eine so große Hilfe. Denn diese Mädchen haben 

    keine Stimme. 

    Ich bin diese Woche einer Gruppe von 101 Frauen beigetreten, Aktivistinnen auf der ganzen Welt, 

    die gegen die weibliche Beschneidung kämpfen. Und ich finde ihre Arbeit einfach nur unglaublich 

    gut. Allerdings habe ich jetzt Zweifel ob ich genug Kraft und Stärke habe, an dieser Front auch 

    noch mit zu kämpfen. Wir werden sehen.

    Vielleicht fange ich mich wieder. Vielleicht aber, muss ich mir selbst eingestehen, das hier ist eine 

    Nummer zu groß. Vor allem weil ich allein bin. Unter lokalen Kollegen. Es ist so viel einfacher wenn 

    man Mitglied eines 5köpfigen Teams ist, wie beim letzten Mal, oder ob man die einzige Deutsche 

    ist. Nie habe ich mich einsamer gefühlt als heute. So einsam, dass ich nicht mal telefonieren kann. 

    Was sollte ich denn meiner Familie sagen? Holt mich hier weg? Baut mich auf? Das können sie 

    nicht. Das muss ich mit mir ausmachen und allein klarkommen. 

    Einzig und allein schreiben hilft. Wenn ich alles aus mir raus-schreibe, geht es mir danach immer 

    besser. Ein bisschen besser. Aber ein bisschen besser ist in diesem Land unglaublich viel!

    Meine Lieben, macht euch keine Sorgen, irgendwie rappel ich mich wieder auf, dauert vielleicht 

    dieses Mal nur etwas länger. 

    Bleibt gesund und passt auf euch auf!

  • Sierra Leone 2.4 - Eine Geschichte

    Sierra Leone 2.4 – Eine Geschichte 

    Dies ist die Geschichte von Fatu, 27 Jahre alt, und Ishmatu, 11 Jahre alt. 

    Fatu ist Mutter von 4 Kindern. Ishmatu ist die Älteste. Dann sind da noch zwei Jungs, 4 und 7 Jahre, 

    und ein Mädchen, 2 Jahre alt. 

    Fatu war mit Ishmatu’s Vater zusammen, der starb als Ishmatu 3 Jahre alt war. Fatu hat nach 

    angemessener Trauerzeit ihren neuen Partner kennengelernt und mit ihm die drei weiteren Kinder 

    gezeugt. Somit ist Fatu’s aktueller Partner der Stiefvater von Ishmatu, die anderen drei Kids sind 

    seine eigenen. Er kam leider nie so richtig damit zurecht, dass er eine Stieftochter hat. Ishmatu hat 

    sehr gelitten, wurde auch ab und zu geschlagen. Die Familie lebte zusammen in einer kleinen 

    Blechhütte. Eines Tages ist diese Hütte leider abgebrannt und der Vater hat sich einen neuen Platz 

    zum leben gesucht. Fatu und die vier Kinder hat er leider rausgeschmissen und will seitdem nichts 

    mehr mit ihnen zu tun haben. Fatu hat zwei ihrer Kinder, die Jungs, ins Landesinnere in ein 

    Buschdorf geschickt. Dort leben sie jetzt mit der Großmutter. Das kleine Mädchen lebt bei Fatu, die 

    bei Freunden untergekommen ist. Der Vater von Ishmatu gehörte einem anderen Stamm als Fatu an. 

    Fatu’s Familie und Freunde waren immer gegen diese Beziehung und weil Ishmatu somit auch einem 

    anderen Stamm angehört, möchte keiner sie aufnehmen. Fatu wusste nicht wohin mit ihrer Tochter, 

    also kam sie zu uns. Eigentlich machen wir solch soziale Arbeit nicht. Wir sind ein Krankenhaus. Aber 

    wer schickt ein 11jähriges Mädchen wieder weg? Wir nicht. Wir arbeiten mit einigen Partner 

    zusammen, unter anderem einem sicheren ‘Heim’ für Kinder die niemand will oder die misshandelt 

    wurden. Also haben wir den Direktor kontaktiert und er war einverstanden Ishmatu aufzunehmen. 

    Ishmatu kam zu mir und hat mir erzählt, dass sie Angst hat. Weil ihre Freunde ihr erzählt haben, 

    wenn du mal in so einem Heim bist, dann siehst du deine Mutter nie wieder. Ich habe ihr erklärt, das 

    stimmt nicht, das ist nur vorübergehend und sie ist ja kein Waisenkind. Irgendwann, wenn die Mama 

    einen neuen Platz zum leben gefunden hat, dann kannst du zurück. Bis dahin bleibst du in dem 

    Heim, zusammen mit anderen Kindern und du kannst zur Schule gehen. Gut, das hat sie dann so 

    akzeptiert. 

    Wir, Amy meine Sozialarbeiterin, Fatu die Mama, Ishmatu das Mädchen und ich fahren zu dem Heim 

    und treffen dort den Direktor und die zuständige Sozialarbeiterin. Ein Gespräch, Geschichte 

    erzählen, Hin und Her, am Ende kommt die Sekretärin mit ein paar Dokumenten die Fatu und ich 

    unterschreiben müssen. Ich fange an zu lesen und stocke. Hä? Foster family? Adoption? Hä? Wovon 

    reden wir hier bitte gerade? Der Herr Direktor erklärt, ja also, die Ishmatu kommt jetzt in eine 

    Pflegefamilie und die hat dann die Möglichkeit, das Mädchen irgenwann zu adoptieren. Ok, stop. 

    Echt jetzt!? STOP! Davon war doch nie die Rede. Doch, war es, aber keiner hat mir erklärt, was für 

    ein Heim das ist. Ich bin von völlig anderen Tatsachen ausgegangen und habe somit Ishmatu 

    belogen. Sie wird nicht zu ihrer Mutter zurückkehren. Ich schaue zu Fatu und sehe, dass sie 

    angefangen hat zu weinen. Ich schlucke meine Tränen, wenn ich jetzt hier losheule, dann krieg ich 

    keinen klaren Gedanken mehr zusammen. Also fange ich an zu diskutieren. Der Direktor und Amy 

    überzeugen mich, das ist was die Mutter will. Und auch Ishmatu. Ich erkläre ihnen, dass jetzt mal 

    ganz klar und deutlich beiden erklärt wird, was hier vor sich geht. Das macht Amy und Fatu schluchzt 

    irgendwann bitterlich. Sie soll ihre Tochter aufgeben. Auch Ishmatu fängt an zu weinen. Lautlos, ich 

    sehe nur die Tränen die über ihr Gesicht laufen. Oh Mann, was für eine Sch… situation. 

    Ich sehe Fatu an, ist es wirklich das was du willst? Wenn nicht, dann finden wir schon irgendeinen 

    Weg. Irgendwas. Sie nickt und sagt, das ist die Chance für Ishmatu in eine Familie zu kommen, die sie 

    liebt, sie hat jeden Tag zu essen und sie kann zur Schule gehen. Die Alternative ist, sie landet auf der 

    Straße und wird irgendwann zur Prostituierten. Diese Situation ist so aussichtslos, ich weiß einfach 

    nicht was ich machen soll. Ich sehe Ishmatu an. ‘Hast du wirklich verstanden was hier gerade 

    passiert? Willst du das auch?’ ‘Ja’, sagt sie. Weil, sie will nicht auf der Straße landen und sie will zur 

    Schule gehen. Bevor es irgendwann zur Adoption kommt, muss Fatu ein weiteres Dokument 

    unterschreiben und endgültig zustimmen. Es ist also noch nicht endgültig. So gut wie, aber es gibt 

    noch eine kleine Chance. Da aber bei solchen Sachen immer auch das Jugendamt eingeschalten wird, 

    hat Fatu kaum eine Chance ihr Mädchen zurück zu bekommen. Dass sie in naher Zukunft einen Job 

    und einen Platz zum Wohnen findet, ist quasi unmöglich. Also ist die Geschichte von Fatu und 

    Ishmatu hier so gut wie geschrieben. Fatu darf Ishmatu ein oder zwei Mal im Jahr sehen, bekommt 

    Fotos von ihr und Berichte wie sie sich macht. Das war’s. Nach 11 Jahren Mutter und Tochter Sein, 

    gehen die beiden jetzt getrennte Wege. Ich bin verzweifelt. Diese Mutter hat gerade unterschrieben, 

    dass ihr Kind ab sofort nicht mehr ihr gehört. Ich frage mich, wie kann sie das so einfach in ein paar 

    Minuten entscheiden. Und sofort bereue ich meine Gedanken. Das war überhaupt nicht einfach. Die 

    tiefe Trauer steht ihr ins Gesicht geschrieben. Sie weint unaufhörlich. Sie hatte einfach keine Wahl. 

    Wohin mit dem Kind, das keiner aufnehmen will. So bekommt sie eine Schulausbildung, statt als 

    Prostituierte zu enden. 

    Vielleicht ist das die traurigste Geschichte, die ich in den letzten 4 Jahren erlebt habe. Eine Mutter, 

    die ihr Kind hergibt, es nicht wieder sieht, sie nicht aufwachsen sieht. Eine Mutter die diese 

    Entscheidung treffen muss, weil es die einzige Chance für das Mädchen auf eine Zukunft ist. Diese 

    Mutter schiebt alle ihre Gefühle beiseite und denkt nur daran, was gut für Ishmatu ist. 

    Die beiden verabschieden sich, umarmen sich ein letztes Mal, die Mutter ermahnt die Tochter: ‘Sei 

    ein gutes Mädchen, sei brav und gehorche, geh immer zur Schule und lerne fleissig. Eines Tages 

    sehen wir uns wieder.’ 

    So und jetzt weine auch ich. Ich finde keine Worte um zu trösten. Für sowas gibt es keine Worte. Ihr 

    Mütter und Väter, stellt euch für einen Moment vor, der einzige Weg eurem Kind eine Chance auf 

    eine Zukunft zu geben, ist, euer Kind aufzugeben und nicht wieder zu sehen. Das ist so furchtbar. 

    Könnte grad schon wieder losweinen. 

    Die Sozialarbeiterin nimmt Ishmatu mit und zurück bleiben Fatu, Amy und ich. Nur noch hier weg, 

    denke ich. Ich fühlte mich so überrumpelt, so hilflos, ahnungslos, mein Herz war gebrochen. Wie 

    musste es erst Fatu gehen. Wir haben sie nach Hause zu ihren Freunden gefahren. Im Auto hat 

    keiner ein Wort geredet. Es gibt keine Worte für so ein Erlebnis. Nicht mal ansatzweise kann ich 

    beschreiben durch Welch Gefühlschaos ich gegangen bin. Geschlafen habe ich in der Nacht auch 

    nicht. Habe mir solche Vorwürfe gemacht. Ich habe zu schnell aufgegeben, hätte mir mehr Mühe 

    geben müssen nach einer anderen Lösung zu suchen. Aber irgendwie war ich auch total überfordert. 

    Und am Ende, ist es die Entscheidung von Fatu. Mit der muss sie leben. Unvorstellbar grausam ist 

    das. 

    Ich hoffe und bete, dass die Beiden sich eines Tages wiedersehen. Dass Ishmatu die Schule gut 

    abschliesst und vielleicht einen Job findet. Und ich stelle mir vor, wie sie eines Tages für ihre Mutter 

    sorgt und wie die beiden am Ende doch wieder vereint sind. Die Chance ist klein, aber sie ist da. Und 

    wie könnte ich hier leben und arbeiten, wenn ich nicht immer Hoffnung im Herzen hätte. 

    Wenn mich jemand fragt, wie es ist, in Sierra Leone zu leben…darauf gibt es nur eine Antwort: 

    Es ist der Himmel und es ist die Hölle, zur gleichen Zeit. 

  • Sierra Leone 2.3 - Alltag

    Sierra Leone 2.3 – Mein Alltag 

    So, ich bin in der dritten Woche, fühlt sich an wie Monate, und habe mich langsam eingewöhnt. Mein großes 

    Glück war, dass ich Land und Leute hier sehr gut kenne. Wäre dies mein erster Afrika-Aufenthalt gewesen, dann 

    meine Lieben, wäre ich schon wieder zuhause. Aber, ich habe mich durchgebissen, bin echt bisschen stolz auf 

    mich, die Voraussetzungen waren mehr als schlecht und der leichtere Weg wäre sicher das Aufgeben gewesen. 

    Aber wer will schon einfach 😊

    Mit meinem Chef habe ich nach wie vor Probleme und zwar elementare Probleme. Mittlerweile reden wir kaum 

    noch, meist nur per Mail und wenn ich wirklich was wissen muss und Rat brauche, dann rufe ich meine Chefin in 

    Schottland an. Die steht immer mit einem guten Rat zur Seite. Meine europäischen Kollegen wohnen alle 

    ausserhalb und mit mir leben nur meine Kollegen aus Malawi auf dem Klinikgelände. Auch wenn wir uns wirklich 

    gut verstehen und nach der Arbeit oft zusammen abhängen, ablästern, uns austauschen, mir fehlt DEUTSCH 

    REDEN! Echt, wirklich, es fehlt mir. Und wenn das noch ein paar Wochen so weitergeht, dann verlerne ich 

    bestimmt mich ordentlich in deutsch auszudrücken. Dafür wird aber mein Krio (Amtssprache nach Englisch) 

    immer besser, nicht dass mir das ausserhalb Sierra Leones je etwas bringen würde, aber gut, hier ist es mehr als 

    hilfreich. 

    Also, ja, ich bin etwas mehr angekommen und fühle mich eigentlich ganz wohl. Obwohl ich das ein oder andere 

    Mal echt Heimweh habe. Und das, meine Lieben, gab’s noch nie! Wir werden sehen wo das hinführt. 

    Heute beschreibe ich euch mal ein bisschen meinen Alltag. Habe mir gedacht, es interessiert euch bestimmt, wie 

    mein Tag so aussieht und wie ich hier lebe. 


    Wie sieht mein Arbeitstag so aus? 

    Also ich stehe immer früh auf, so 5:30 – 6:00 Uhr, der Morgen ist meine Lieblingstageszeit, deshalb versuche ich 

    möglichst viel Zeit für mich zu haben. Um diese Zeit ist es ruhig auf dem Gelände. Ich geniesse meinen Kaffee auf 

    dem Balkon, checke Emails, sende Nachrichten nach Deutschland, zappe mich durch NTV und sonstige 

    Nachrichten Websites um nicht ganz den Anschluss an die restliche Welt zu verlieren. Dann duschen und um 7:30 

    fange ich an zu arbeiten. Erstmal ganz viel Reports und Emails und Dokumentationen lesen, mich einarbeiten und 

    Notizen machen, was ich gerne ändern möchte, woran ich arbeiten möchte. Um 8:30 startet unsere Devotion – 

    Gebetszeit. Wie oben erklärt, wird gesungen, getanzt, gelacht, gebetet. Hier betet man anders, laut, lachend, 

    singend, tanzend, mit Trommeln und klatschen. Ich bin jetzt echt nicht so der Kirchgänger und so, aber das hier 

    gefällt mir echt gut. Hier ist Beten, ein Reden mit Gott, laut, Spass haben, tanzen, Musik. Ich genieße das, 

    irgendwie ist das ein toller Start in den Tag, positiv, denn man weiß nie was im Laufe des Tages noch so passiert. 

    Anschliessend drehe ich meine erste Runde. Ich besuche jede Station, wünsche einen Guten Morgen, frage ob 

    alles ok ist, rede mit ein paar Patienten, knuddel ein paar Babys. Das gibt einem super viel Energie für den Tag. 

    Dann folgen viele Meetings, Projektarbeit, blabla. Zwischendurch immer wieder Beratungsgespräche mit 

    Teenager Müttern. Also mein Tag ist mehr als voll und die letzten Tage habe ich eigentlich immer zwischen 10 und 

    12 Stunden gearbeitet. 

    Und dann kommen die unerwarteten Ereignisse. Wie z.B.: 

    Meine Sozialarbeiterin Amy holt mich zu einem Notfall. 3jähriges Mädchen aus irgendeinem Buschdorf. Versteht 

    kein Wort von dem was wir so reden und sie selbst redet kein Wort. Eine Freundin der Mutter hat sie 

    hergebracht. Sie übersetzt und erzählt die Geschichte: 

    Das Mädchen ist leider vom Teufel besessen, der kommt jeden Montag, Dienstag und Freitag. Dann fängt ihr 

    Körper an sich zu schütteln und sie steckt sich die Finger in die Vagina und hat sich somit selbst entjungfert. 

    Deshalb blutet sie jetzt und deshalb sind sie hier. Okayyyy. Zuerst, ich bin VERY SURE, da ist kein Teufel. Und den 

    Rest wird ein Doktor klären, der sie jetzt erstmal untersucht. Am Ende kommt raus, sie ist immer noch Jungfrau 

    und sie hatte irgendeine Entzündung und hatte Blut im Urin. Es geht ihr gut. 

    Dann kommen zwei Teenager Mädchen, die von der Polizei gebracht werden. Sie bluten stark seit 24 Stunden. 

    Tja, da hat wieder einmal eine unfähige Beschneiderin Hand angelegt und zwei Mädchen verstümmelt. Sie 

    werden beide Not-operiert und mittlerweile geht es ihnen gut. Also körperlich. 

    Tja, und solche Geschichten passieren jeden Tag. 

    Zwischen meiner Arbeit am Laptop und den Dramas, drehe ich immer wieder Runden und versuche alle zu 

    überzeugen eine Maske zu tragen. Kein Mensch glaubt hier an Covid und die Maske ist einfach nur nervig. Ja! Ist 

    sie! Bei 35 Grad und Luftfeuchtigkeit von fast 100%, mir macht das auch keinen Spass. Die Pickel in meinem 

    Gesicht gedeihen prächtig durch das Schwitzen unter der Maske. Aber wenn ich Europäer damit irgendwie 

    klarkomme, dann schafft ihr das auch…naja, das versuche ich täglich mehreren hundert Menschen zu erklären. 

    Und das werde ich den Rest des Jahres jeden Tag machen. Die Zahlen steigen hier, ebenso die Todesfälle. Und 

    trotzdem nimmt es keiner so richtig Ernst. Ich befürchte, oder bin mir fast sicher, das wird hier in einem Disaster 

    enden. Es gibt kaum Krankenhäuser die Beatmungsgeräte haben. Wen es hier schlimmer erwischt, der wird 

    sterben. Keine Chance. Wir haben ein oder zwei Beatmungsgeräte hier. Für an die 300 Patienten und mehr als 

    150 Mitarbeiter. Hahaha. Und wir sind schon gut ausgestattet, die meisten Krankenhäuser haben keine. 

    Ich versuche mein Bestes und werde weiterhin mehrmals täglich meine Runde drehen und auf Masken bestehen, 

    ans Hände waschen und desinfizieren erinnern, versuchen die Leute auf Abstand zu bringen, aber das ist eine 

    endlose Geschichte. Zu meinem eigenen Schutz trage ich ständig eine Maske. Also fast. Wenn ich rausgehe, 

    immer, auf dem Gelände meistens. Manchmal wenn ich mit Patienten rede, dann nehm ich sie ab. Das passiert 

    automatisch und ich arbeite daran, mich zu bessern. Aber in Taxis, Kekehs, Supermärkten, überall habe ich eine 

    Maske auf. Sogar am Strand, wenn zu viele Menschen um mich herum sind. Ich wohne in Strandnähe, 20 Minuten 

    entfernt vom Stadtzentrum. Das Zentrum ist überfüllt mit Menschen. Märkte, zu viel Verkehr, die 

    Menschenmassen drängen durch die Straßen. Aus diesem Grund werde ich dieses Gebiet meiden. Auch wenn 

    einige meiner Freunde dort leben, ich verzichte auf Besuche. Ebenso verzichte ich auf Slum Besuche. War einmal 

    da, um meine alten Bekannten zu treffen, da hatte ich eine FFP2 Maske auf. Aber das wars. Die nächsten Wochen 

    nur noch dorthin wo es möglichst wenig Menschen gibt. Aber ich sehe das Drama schon kommen. Auch in 

    Deutschland wurde lange ignoriert und man sieht ja wohin das geführt hat. Maske und Desinfektionsmittel sind 

    mein ständiger Begleiter. Also ständig. Und ich bin echt genervt davon. Aber ich habe wirklich keine Lust mich hier 

    anzustecken. Wenn’s mich hier richtig erwischt und ich nicht schnell ausgeflogen werde, dann hilft nur noch 

    beten. Mein großes Glück und großer Vorteil, ich bin ganz gut connected mit vielen Ärzten aus Europa. Das 

    Problem ist nur, wenn das Equipment fehlt, dann können die auch nicht helfen. 

    Fazit: Meine Tage sind voll. Mit meiner normalen Arbeit, mit Dramen, mit furchtbaren Ereignissen. Aber auch mit 

    so vielen schönen Ereignissen. Mit älteren Frauen, die endlich von ihrer Inkontinenz befreit wurden, nachdem sie 

    Jahrzehnte lang von ihrer Dorfgemeinschaft ausgeschlossen wurden und isoliert in einer Lehmhütte vor sich hin 

    vegetierten. Diese Frauen haben keine Windeln für Erwachsene, sie verwenden Stoffe und waschen diese. Nicht 

    sehr hygienisch. Teile ihres Gewebes um Darm und Blasé sind abgestorben, sie verlieren dauerhaft Urin und Stuhl. 

    Taxifahrer oder Busse nehmen sie nicht mit, weil sie riechen. Menschen meiden sie, weil sie riechen. Diese 

    Frauen, mit einem lachenden Gesicht, die dich ansehen und Danke sagen. Das berührt mich so tief. Weil ich weiß, 

    was dieses Danke bedeutet. Dieses Danke steht für ein Leben. Sie bekommen ihr Leben zurück. Das ist so schön! 

    Mir kommen manchmal die Tränen wenn ich in diese Gesichter schaue. Jahrzehnte lang haben diese Frauen 

    gelitten, waren völlig isoliert und alleine. Verstoßen und geächtet, ein Leben in Schande. Sie kehren als neue 

    Menschen zurück. Also wenn man da nicht weinen muss, dann weiß ich auch nicht. 

    Oder die Geburt von Drillingen. Und Mutter und Kinder sind wohlauf. Und einfach super klein und super süß. 

    Diese Mutter hätte die Kinder niemals auf natürlichem Weg bekommen können und die Chance wäre groß 

    gewesen, dass keiner das überlebt. Und dann spazieren sie als Familie nach Hause. 

    Oder das Teenager Mädchen, das mit 14 vergewaltig und schwanger wurde. Aber jetzt plötzlich in deinem Büro 

    steht und dir ihr Zeugnis zeigt. Weil die Organisation ihr geholfen hat und sie 3 Jahre lang eine Ausbildung 

    bekommen hat. Und jetzt zumindest die Chance auf einen Job hat. 

    Die Mädchen, die beschnitten werden, von Stümperinnen, mit unscharfen Rasierklingen. Die fast gestorben 

    wären und hier aber so gut wie möglich wieder hergestellt wurden und nun ihr Leben nicht mit 17 endet. 

    Es ist hart. Wirklich. Es ist eine ganze Nummer härter als letztes Mal. Die Geschichten der Menschen sind krasser. 

    Hier sind sich Tod und Leben immer so nah. Und ich werde einen Weg finden müssen, damit umzugehn. Bisher 

    klappt es eigentlich ganz gut. Mein Weg? 

    Ich schreibe super viel und ich rede super viel. 

    Ich habe ein System für mich selber entwickelt und das funktioniert echt. Ob das irgendwann zusammen bricht 

    und ich mit, das weiß ich nicht aber ich gehe an schwere Fälle so ran: 

    Ich sehe uns hier als Kreisverkehr. Die Menschen kommen von einer Straße, diese Straße ist die Vergangenheit. 

    Sie erzählen ihre Geschichte, ich nehme das auf, höre zu und dann geht meine Klappe zu. Ich schiebe das in 

    irgendeine Ecke meines Gehirns. Diese Straße wird von mir gesperrt. Nicht mehr befahrbar. Und dann fokussiere 

    ich mich auf die nächste Straße im Kreisverkehr. Das ist, wo wir gerade stehen. Medizinische Hilfe, psychologische 

    Hilfe, Hilfe bei Polizei und Gericht. Darum kümmern sich hauptsächlich meine Kollegen, Ärzte, Schwestern, 

    Sozialarbeiter. Ich gehe nur wenige Schritte auf dieser Straße und nur dann, wenn meine Hilfe gebraucht wird. 

    Und dann kommt meine Straße. Die Straße, die in die Zukunft führt. Ich gehe gerne auf dieser Straße, denn hier 

    kann ich noch etwas ändern und bewirken. Wir machen Pläne, finden heraus wo Stärken liegen, finden einen 

    Praktikumsplatz oder einen Schulplatz. Einen sicheren Ort zu leben. Ich setze meinen Fokus zu 80% auf diese 

    Straße und versuche alles andere auszublenden. Akzeptieren was passiert ist, aber dann muss das in eine finstere 

    Ecke meines Gehirns verschwinden. 

    Also bisher funktioniert mein Kreisverkehr echt gut. Dazu kommt, dass ich in den letzten Jahren wirklich viel 

    gesehen und erlebt habe. Es gibt wenig, was mich noch so richtig umhaut oder überrascht. Also zu einem 

    gewissenTeil stumpft man auch ein bisschen ab, härtet ab. Und das ist auch gut so und wichtig. Wenn man sich 

    alles immer zu sehr zu Herzen nimmt, dann zerstört es einen. Man darf nicht sein Mitgefühl verlieren, die 

    Empathie. Niemals. Es darf niemals als ‘normal’ gesehen werden. Wenn der Zeitpunkt kommt, dass mich nichts 

    mehr berührt und ich nicht mehr mitfühlen kann, das ist dann der Zeitpunkt für mich, zu gehen. 

    Aber davon bin ich noch weit entfernt. Wie gut ich das hier Alles verdauen und verarbeiten kann, das wird die Zeit 

    zeigen. Wichtig ist, dass man einen Ausgleich hat. Für mich ist das der Strand. Und dass ich Menschen habe, die 

    ich jederzeit anrufen kann um mich auszuheulen oder einfach nur, um mir Geschichten aus der Heimat anzuhören 

    um mich abzulenken. Freunde und Familie die einem den Rücken stärken und die dir liebe, witzige oder was auch 

    immer Nachrichten schicken. Die dir Fotos aus der Heimat schicken. All sowas, das hilft. Und am Ende kann ich 

    noch sagen, in meinem Kühlschrank befindet sich echt wenig (eigentlich nur Schokolade und Milch), aber es ist 

    immer eine Flasche Wein da und immer Gin und immer Tonic, wenn der Tag zu schrecklich war, dann hilft das 😊

    So und zum Abschied noch eine witzige Geschichte, die so absolut typisch für Sierra Leone ist: 

    Ich gehe mit Freunden aus und wir landen in einer lokalen Beachbar. Und dann passiert folgendes: 

    ‘Habt ihr Gin?’ 

    ‘Ja’ 

    ‘Und Tonic?’ 

    ‘Ja’ 

    ‘Also, einen Gin Tonic bitte’ 

    …. 

    Getränk wird serviert 

    ‘Das schmeckt irgendwie komisch’ 

    ‘Wieso?’ 

    ‘Das ist doch kein Tonic?’ 

    ‘Ne’ 

    ‘Sondern?’ 

    ‘Tonic war aus, hab ich Sprite reingetan’ 

    ‘Ok’ 

    'Aber schmeckt auch irgendwie nicht nach Gin'

    'Ja, weil's Vodka ist, Gin ist aus'

    'Ok, habt ihr Eis?'

    ‘Wir haben keine Gefriertruhe’ 

    ‘Ok’ 

    Das ist Sierra Leone. Da wird nicht gefragt ob du mit der Alternative einverstanden bist. Nimm oder lass es. Wäre ich 

    noch so ‘deutsch’ wie vor ein paar Jahren, dann würde mich das nerven, ich hätte ne Diskussion angefangen oder 

    so. Heute, bin ich bei sowas super gechillt, ist halt so, kann man eh nicht ändern, also verschwende keine 

    Energie…Heute lache ich über solche Geschichten 😊

    Bleibt gesund und munter und bis ganz bald! 

  • Sierra Leone 2.2 - Die erste Woche

    Sierra Leone 2.2 – Die erste Woche 


    Nachdem meine ersten Tage etwas holprig waren und ich Dank der Geburtenstation unterhalb meiner Wohnung der Schlaf auch etwas zu kurz kam, habe ich mich jetzt etwas eingewöhnt und die letzte Nacht komplett durchgeschlafen. Ich war einfach zu erschöpft und fertig, nicht mal die schreienden Frauen oder Babys konnten mich noch wachhalten. 


    Also gestern, Donnerstag, war ich echt fertig. Die ersten Tage waren echt heftig, geschwitzt wie blöd, die selben Klamotten jeden Tag (Gepäck kam 4 Tage nach mir an), meine erste Unterkunft war ein Alptraum, mein neuer Chef hier hat sich wenig um meine Ankunft gekümmert und ich fühlte mich einfach nur allein und verlassen. 


    Also das ging sogar soweit, dass ich das im Whatsapp Family Chat mitgeteilt habe und meine Mom mich anrufen musste und mich wieder aufgebaut hat. Hahaha, 45 Jahre alt und doch geht`s nicht ohne Mama! Ich bin eigentlich echt hart im Nehmen, meine Schmerzgrenze liegt, Dank meiner Erfahrung der letzten Jahre, echt hoch und mich haut eigentlich nichts so schnell um. Weiß auch nicht was los war. 


    Jedenfalls habe ich mich wieder eingekriegt, mein Gepäck kam am Mittwoch Abend, ich bin in ein kleines Appartement umgezogen, ich finde mich langsam bei der Arbeit zu recht. Alles wieder gut, oder auf dem Weg dahin. Vorhin hatte ich mein erstes frisch geschlüpftes Baby auf dem Arm. Schmierig und schleimig, schreiend, aber super süß! Not-Kaiserschnitt, aber Mami und Baby wohl auf. Also das puscht auch irgendwie. Da weiß ich wieder warum ich hier bin! 


    Also warum bin ich eigentlich hier? Ihr seid bestimmt gespannt was meine künftige Aufgabe, oder besser Herausforderung, sein wird. Ich möchte euch heute einen kurzen Überblick geben. Ich arbeite für die ‚Freedom from Fistula‘ Foundation, gegründet und gesponsort von der ‚Gloag Foundation‘. Eine schottische Hilfsorganisation die in 4 afrikanischen Ländern tätig ist und mit der Organisation ‚Mercy Ships‘ verknüpft ist. 


    www.freedomfromfistula.org 


    Was macht die ‚FFF‘? Die FFF ist hauptsächlich im medizinischen Bereich tätig und das für Babys, Kinder, Teenager Mädchen und Frauen. Wir betreiben eine Klinik in Freetown mit Sitz gaaaaanz nah am BEACH! YEAH Es gibt 5 verschiedene Bereiche: Fistula Die wenigsten Frauen und Mädchen gebären hier in einer Klinik, meistens zuhause, was bedeutet, keine medizinische Hilfe, irgendwo im Busch, eine lokale Hebamme hilft. Die hat aber natürlich keine Ausbildung sondern ist einfach eine ältere Frau mit Erfahrung. Die Frauen liegen manchmal tagelang in den Wehen, es kommt zu Komplikationen, unter anderem bilden sich Fisteln. Das bedeutet in ‚nicht-medizinischer Sprache‘ da reißt ziemlich viel und es geht ziemlich viel kaputt. Was dazu führt, dass die Frauen inkontinent werden. Sowohl Darm und Blase arbeiten nicht mehr richtig. Das wiederum führt die Frauen in die Isolation, denn sie werden verachtet und verstoßen. Diese Frauen leiden richtig. Sie leben abseits ihrer Community, allein. Schaffen es kaum zu überleben. Wir haben hier Chirurgen aus Europa die das wieder ‚reparieren‘ und somit den Frauen ein Leben zurück geben. Jedes Jahr werden ca. 400 Frauen und Mädchen operiert. Wir reisen im Land umher, klären auf, sammeln betroffene Frauen ein. Die Frauen und Mädels bleiben bei uns bis sie völlig genesen sind und kehren dann in ihr Heimatdorf zurück. Die älteste Patientin war 66 Jahre alt, die jüngste war 4 Jahre alt. Das kleine Mädchen wurde Opfer einer Vergewaltigung und dabei wurde ihr Unterleib völlig zerstört. Die Chirurgen hier konnten ihr aber helfen. So, das ist Projekt 1. Heftig, aber sehr sehr wertvoll! 


    Geburten Wir betreiben auch eine Geburtsklinik und Frauen und Mädchen die nicht zu weit weg wohnen, können hierher kommen um hier ihr Kind zur Welt zu bringen. Mit Hilfe von ausgebildeten Hebammen und falls nötig sind auch immer Ärzte vor Ort. Es werden ca. 250 Babys im Monat in unserer Klinik zur Welt gebracht. Was nicht so ganz ideal ist, die Geburtsstation liegt unterhalb meines Appartements und ich werde Tag und Nacht ‚Ohren-Zeuge‘ aller Geburten. Führt zu dauerhaftem Schlafmangel… Familien Planung Alle Patienten werden bei uns beraten im Bereich Familien Planung, ebenso gibt es Unterricht in Hygiene. Mehr als 7500 Frauen und Mädchen nehmen an den Beratungen jedes Jahr teil. Die Beraterinnen fahren auch in die Slums und informieren und klären dort auf. 




    Kinderklinik Unsere Kinderklinik ist einer der größten Bereiche hier. In Sierra Leone erreicht ein von fünf Kindern nicht das fünfte Lebensjahr. Um die Kindersterblichkeitsrate zu reduzieren, gibt es hier Ärzte die sich um Kinder zwischen 0 und 15 Jahren kümmern, die Versorgung ist kostenlos. Es werden jeden Tag um die 100 Kinder behandelt. Typische Krankheiten sind Typhus, Malaria, Unterernährung und andere Infektionen. Sie bekommen kostenlose Behandlungen und kostenlose Medikamente. Die Ärzte und Schwestern besuchen auch regelmäßig die Slums um dort zu helfen. 


    Dream Girls Dieses Projekt wird eine meiner Hauptaufgaben sein, zusammen mit dem Bereich SGBV (Erklärung unten) Dream Girls ist ein Programm dem sich Teenager Mädchen anschließen können, die zum ersten Mal Mutter werden. Zum Teil unbeabsichtigt aber mit gewolltem Sex, aber häufig auch Opfer von Vergewaltigungen. Daher sind viele Mädchen erst 12-14 Jahre alt. Hier erwartet mich eine sehr wertvolle und sinnvolle Arbeit, aber ich bin mir jetzt schon sehr bewusst, wie heftig das wird. Die Mädchen die am Dream Girls Projekt teilnehmen, bekommen Betreuung während der Schwangerschaft, bringen ihre Babys bei uns zur Welt und bleiben auch zur Nachsorge. Darüber hinaus bekommen sie hier Schulunterricht und eine kleine Ausbildung. Das Programm kann bis zu 6 Monate dauern. Sie werden ausgebildet im Bereich, Handarbeit, Nähen und alles rund um Hotel- und Restaurantarbeit, kochen, backen, kellnern, etc.. Wir versuchen dann, sie an die hiesigen Hotels zu vermitteln damit sie dort ein Praktikum absolvieren können. 


    Mit viel Glück ergattern manche von ihnen sogar einen Job. So versuchen wir den jungen Müttern ein selbständiges Leben zu ermöglichen. 


    SGBV (Sexual and Gender Based Violence) – Opfer von Missbrauch und Vergewaltigung Missbrauchs- und Vergewaltigungsopfer werden hier an einer Stelle betreut (One Stop Shop – OSS). Das bedeutet, sie finden von allein den Weg zu uns oder werden von Polizei gebracht. Zuerst gibt es medizinische Hilfe, dicht gefolgt von psychologischer Hilfe. Wir haben Sozialarbeiter die sich um die Mädchen kümmern und viele Gespräche mit ihnen führen. Ebenso bekommen sie hier Rechtsberatung, Unterstützung bei der Anzeige bei der Polizei, Begleitung zu Gerichtsterminen (falls es dazu kommt). So bekommen die Mädchen Hilfe an einer Stelle und müssen nicht von Arzt, zu Anwalt, zu Polizei usw.. Das erleichtert den Weg auf der Suche nach Hilfe ungemein und die Mädchen sind nicht allein. Auch die Mädchen die beschnitten wurden und bei denen Komplikationen auftreten fallen in diese Abteilung des Projekts. 


    Das sind also die Bereiche in denen wir tätig sind und in die ich die nächsten Monate tiefer eintauche.


    Irgendwie merke ich gerade, dass ich in Namibia mit ‚Afrika für Anfänger‘ angefangen habe, dann in Sierra Leone mit dem alten Job zur Fortgeschrittenen wurde und jetzt bei Professionell gelandet bin. Als sollte es so sein. Vor ein paar Jahren wäre ich nicht fähig gewesen gleich mit so einem Projekt zu starten. Mittlerweile fühle ich mich stark genug das hinzukriegen und ich bin soweit, dass ich hier wertvolle Arbeit leisten kann und nicht den ganzen Tag vor mich hin flenne. 


    Um so etwas zu machen braucht man schon ne dickere Haut, muss so manches gesehen haben und darf sich nicht alles so zu Herzen nehmen, bzw. darf nicht alles zu sehr an sich heranlassen. Sonst besteht die Gefahr, dass man zerbricht. 


    Ich war schon oft an der Grenze zum Zerbrechen, das gebe ich ehrlich zu. Ich bin nicht immer so stark wie manche vielleicht glauben. Mir zerreißt es oft genug das Herz und oft genug sitze ich Abends bei einem Glas Wein und kann kaum verarbeiten was der Tag so mit sich gebracht hat. 


    Aber was zählt und wichtig ist, dass man am nächsten Morgen wieder aufsteht und mit neuer Kraft einfach weitermacht. Denn auch wenn es manchmal wirklich schwierig ist und man an seine Grenze stößt, wenn man dann Erfolge sieht, Mädchen zurück zur Schule gehen, wenn ihre Körper heilen, ihre Seelen ein Stück weit heilen, wenn man sie lachen sieht und verfolgen kann, wie sie ihren Lebensmut zurückbekommen, dann weiß man wieder ganz genau warum man jeden Tag mit neuer Hoffnung und neuem Mut aufsteht. 


    Dieses Projekt, dieser Job wird wahrscheinlich der härteste Job werden den ich die letzten Jahre, nein, in meinem bisherigen Leben, gemacht habe, aber gleichzeitig auch der Sinnvollste. Ich freue mich auf meine neue Aufgabe, meine neue Herausforderung und halte euch auf dem Laufenden


     Bleibt gesund, sonnige Grüße aus ‚Sweet Mama Salone‘ 

  • Sierra Leone 2.1 - Anfang

    Sierra Leone 2.1

    Die Abreise - Die Ankunft

    Wieder einmal Abschied nehmen, wie üblich, Drama bei meinen Neffen. Sie zu verlassen 

    fällt mir jedesmal am Schwersten. Am Abend vor der Abreise noch einmal deutsche 

    Hausmannskost, anschliessend versuchen zu schlafen. Ich als professioneller Verdränger, 

    hab es wieder einmal wunderbar geschafft, meine Abreise komplett zu verdrängen, bis 

    zum Tag davor. Am Sonntag kam der Abschiedsschmerz dann doch ein bisschen durch, 

    zusammen mit der Aufregung. Ihr denkt vielleicht, ach jetzt ist die schon so oft 

    weggangen, das kann doch nicht so schwer sein. Ist es aber. Es wird ein bisschen besser 

    und ein bisschen leichter, aber einfach ist es trotzdem nicht. 

    Habe vor Aufregung und allem drum und dran dann nicht wirklich viel geschlafen, um 4 

    Uhr raus aus dem Bett, die Zahnbürste noch in den Koffer gestopft und pünktlich um 5:30 

    stand mein Flughafen-Bring-Team bereit. Das besteht seit je her aus meiner Mom, meiner 

    Tante und meinem Onkel. Immer wenn ich meinen Onkel frage, ob ich mir mal sein Auto 

    für ne längere Strecke pumpen kann, weiss er schon Bescheid: ‚Oh, wohin geht’s dieses 

    Mal?‘

    Wir also zum Flughafen, Abflug war erst um 13 Uhr, aber ich hatte Übergepäck (klar!) und 

    musste noch so nen blöden Covid Test machen. Reisen in Zeiten von Corona, nicht 

    einfach, ich sage es euch.

    Gepäck aufgeben war, wie immer, ein Drama, dann in die Corona Schlange. Herrje, die 

    war unendlich lang. Habe dann ein bisschen geschwindelt und gesagt, dass mein Flug in 

    einer Stunde geht und ich es echt eilig habe. Tatsächlich haben sie es mir abgekauft und 

    ich durfte an Position 1.

    Irgendwann war endlich Alles geschafft und der Abschied von meinem Airport Team war 

    kurz und schnell und schmerzlos. Ich hasse Abschiede einfach!

    Endlich im Flieger dachte ich wirklich, das Schlimmste läge hinter mir. Weit gefehlt! 

    Also die Reise nach Sweet Mama Salone (so nennen die Einheimischen ihr Heimatland) 

    war dieses Mal eine echte Herausforderung. Und ich bin wirklich Einiges gewöhnt, habe 

    viel erlebt und bin wirklich (WIRKLICH!) nicht zimperlich. Aber meine letzten beiden Tage 

    haben Alles bisher Erlebte in neue Dimensionen gehoben. 

    Der Flug war schon ziemlich ruppig, ständiges Anschnallen weil es so unruhig war. Ich 

    kenne zum Glück keine Flugangst, aber um mich herum waren die Leute leicht panisch. 

    Endlich in Freetown am Flughafen angekommen, stand ich dann am Gepäckband. Und 

    zwar ziemlich lange. Vergeblich auf meine Koffer gewartet. Immer wieder die Angestellten 

    gefragt, ob noch Koffer kommen. Die Antwort war immer die Gleiche: geh und kuck 

    nochmal, dein Koffer ist irgendwo. Irgendwann habe ich nur noch gesagt: ‚if you don’t want 

    to let me freak out, stop telling me to go and watch for my bag.‘ 

    Ende vom Lied: Koffer sind in Brüssel, ich bin in Freetown. Kann echt nicht wahr sein. 

    Jetzt steh ich in Freetown und habe Gott sein Dank mein Handgepäck so gut gepackt, 

    dass ausser 2 Laptops und ein paar Büchern noch an die 100 Slipeinlagen im 

    Handgepäck sind. Super, vielleicht kann ich mir ja ne Hose zusammenkleben!

    Also, Gepäck weg. Ok. Nicht aufregen, weitermachen. Irgendwie findet sich eine Lösung. 

    Lost Luggage Formular ausgefüllt, weiter zum Zoll und der Passkontrolle, wie üblich eine 

    ewige Schlange und hinterm Schalter die afrikanische Gemütlichkeit. Mein Pass wurde 

    einkassiert bis mein Covid Testergebnis da ist. Mal sehen, ob ich den jemals 

    wiedersehe….

    Dann zum Covid Test. Wieder eine ewige Schlange, total chaotisch, manche mit Maske, 

    manche ohne. Mal sehen wie lange es dauert bis hier Corona Fuss fasst.

    Blut abgenommen, Stäbchen Richtung Hirn gerammt, mit afrikanisch üblicher Sensibilität, 

    AUA!

     Schnelltest negativ, weiter zum Bus der mich zum Speedboat bringen wird. Vorm 

    Flughafen wartet schon jemand mit dem Ticket für’s Boot (Flughafen Freetown liegt auf 

    einer Halbinsel, der schnellste Weg zur Stadt führt über’s Meer, inklusive hoher Wellen, 

    die echt üble Gefühle wecken). Dieser jemand fragt mich erstmal wo mein Gepäck ist. Ich 

    sage ihm nur, dass das ein ganz schlechtes Thema ist und er kann an meinem Gesicht 

    ablesen, dass er jetzt besser einfach schweigt. Also rein in einen Bus der für 12 Leute 

    gedacht ist, wir sind ca. 20 Leute plus Gepäck. Wie sehr ich schwitze in meiner langen 

    Hose und langem Shirt, ihr könnt es euch vorstellen. Am Speedboat Hafen angekommen 

    sitzen wir erstmal und warten, eine gefühlte Ewigkeit. Endlich geht es los und ich bin 

    langsam echt müde. In Freetown angekommen, schaue ich mich um nach meinem 

    Abholer. Tja, der ist leider nicht da. Ich warte und warte, die Halle leert sich und am Ende 

    bin ich mit ein paar Angestellten allein. Tja, da kommt wohl kein Fahrer mehr. Ich mach 

    mich auf die Suche nach einem Taxi, die netten Bootsangestellten helfen mir und ich 

    bezahle 10 verkackte US Dollar für eine Fahrt die eigentlich 1, maximal 2 Dollar kostet. 

    Aber ich bin so erschöpft und mir fehlt die Kraft für Diskussionen. In meiner Unterkunft 

    angekommen, helfen mir die Security Guys mein Zimmer zu finden. Und das Zimmer ist 

    einfach furchtbar, super klein, irgendwie eklig, aber wenigstens hat mir jemand ein 

    Handtuch, Kaffee, Milch und Brot besorgt, wenigstens etwas. Ich finde eine NachtKrankenschwester und die ist so nett und besorgt mir eine Zahnbürste und Zahnpasta. 

    Schnell die Zähne geputzt und unter die Dusche. Ha! Kein Wasser! ich finde einen 

    Kanister und dusche mit Kelle und Eimer, macht nichts, ist nicht das erste Mal. Ich hoffe 

    darauf, dass das Wasser nicht schon wochenlang in dem Kanister ist.

    Da es mittlerweile aber 1 Uhr Nachts ist, einfach nicht nachdenken, bisschen Wasser auf 

    den Körper und ab ins Bett. 

    Nach einer knappen Stunde wache ich wieder auf. Was ich noch nicht erwähnt hatte, unter 

    meinem Zimmer befindet sich die Geburtenstation. In der Nacht meiner Ankunft wurden 2 

    Jungs und ein Mädchen geboren. Die Mütter unter euch wissen, wie laut gebährende 

    Mütter sein können. Tja und afrikanische Mütter, die legen noch eins drauf. Sie schreien 

    sich die Seele aus dem Leib. Das Letzte Baby kam um ca. 6 Uhr heute morgen auf die 

    Welt. Also wirklich viel geschlafen habe ich nicht. Quasi gar nicht. Den ganzen Tag heute, 

    hat mich das Adrenalin, die Aufregung wach gehalten. 

    Die letzten beiden Nächte hatte ich also vielleicht 5 Stunden Schlaf, morgen trage ich den 

    dritten Tag die gleiche Hose und die gleiche Unterwäsche. 

    Was soll ich sagen, jemand anderes wäre vielleicht schon wieder auf dem Heimweg. Nach 

    einigen Jahren Afrika Erfahrung muss ich sagen, ich bin echt gechillter als ich dachte. 

    Habe mir heute nen Lappa (Stoff den die einheimischen Frauen einfach um die Hüfte 

    wickeln und als Rock tragen) gekauft und ein paar Flipflops. Outfit für 4 Euro, kann man 

    nicht meckern.

    Ich hoffe wirklich mein Koffer kommt morgen, ich bin zwar noch relativ entspannt, aber 

    eine neue Unterhose wäre wirklich toll. 

    Afrika, oh Afrika,

    ich find dich einfach wunderbar!

    Mein Lieblingsland Sierra Leone hat mich zurück, der Empfang hätte besser sein können 

    aber ich freu ich so wieder da zu sein, dass ich über diese kleinen Problemchen hinweg 

    sehe…noch…

    Es bleibt spannend, bleibt dran :-)

    Beim nächtsten Bericht werde ich euch dann ein bisschen was von meiner neuen Aufgabe 

    erzählen.

    Bleibt gesund, sonnige Grüße aus Sweet Mama Salone :-

  • Fernweh vs. Heimweh

    Fernweh vs. Heimweh


    Fast genau 12 Monate habe ich nun in Deutschland verbracht. Eine Herausforderung in vielerlei Hinsicht. Das Jahr war schwierig, für viele von uns. Manche haben ihren Job verloren, sind in Kurzarbeit oder haben, wie ich, lange keinen Job gefunden. Die ersten Monate fand ich das gar nicht schlimm, ehrlich gesagt, habe ich diese Zeit mehr als gebraucht. Mein Jahr 2019 war aufregend, spannend, abenteuerreich, sehr schön. Und zur gleichen Zeit war es furchtbar, Herz-zerreissend, zermürbend. 2019 hat Alles aus mir rausgeholt, ging unter die Haut. Über viele meiner Erlebnisse kann ich nicht sprechen, weil es mir schwer fällt, aber auch, weil es niemand verstehen kann der nicht das Gleiche erlebt hat. Ich bin froh, dass ich meine Mitstreiterinnen Bo, Huppi und Mary habe, die nachvollziehen können in welchem Gefühlschaos man sich in einem Land wie Sierra Leone manchmal befindet. So hatte ich jemanden zum Reden, jemanden zum Zuhören, jemanden der auch ohne große Worte verstand. Jemanden, der versteht, warum man manchmal aus dem Nichts in Tränen ausbricht, weil ein Flashback einen so umhaut, dass man keine Worte findet. Weil die Seele noch nicht wieder ganz geheilt ist, weil Sierra Leone uns verändert hat. Jemand der versteht, dass man am liebsten erstmal nur schlafen will, weil man so erschöpft ist. Jemanden der versteht, warum man aber nicht schlafen kann, weil die Träume einen einholen. An dieser Stelle ein dickes Dankeschön aus tiefstem Herzen an meine drei Mädels, die mir so oft zur Seite standen, mit denen sich Alles Schlechte doch irgendwie in etwas Gutes gewandelt hat.

    Also ja, 2019 war heftig. 2020 habe ich genutzt um wieder zu mir zu finden. Um mein Herz und meine Seele zu heilen, um im Kopf wieder klarzukommen. Um zu verarbeiten und zu verstehen. Es hat lange gedauert, aber endlich war ich wieder fähig unter Menschen zu gehen, wieder ins soziale Leben einzutauchen, so fern das in diesem Jahr möglich war. Aber konnte ich wieder Fuß fassen in meinem Heimatland? Nein. Ich weiß nicht woran es liegt. Habe ich mich zu sehr verändert? Oder hat sich die Welt aus der ich eigentlich stamme zu wenig verändert? Kann ich jemals wieder in Deutschland leben und glücklich sein? Ich habe keine Ahnung. Ich wünschte so sehr, ich hätte die Chance meine Stimme laut erklingen zu lassen und zu erzählen. Ich wünschte so sehr, ich könnte meine Stimme erheben und manchen Menschen die Köpfe waschen. Was ist denn hier nur los? Viele halten es kaum ein Jahr ohne Urlaub aus. Beschweren sich, protestieren, demonstrieren, sehen sich in ihren Menschenrechten beschnitten. Herrje. Es geht uns allen doch immer noch gut. Ich weiß, es ist schwierig, aber machen es Demonstrationen ohne Maske, ohne Abstand, zu Tausenden versammelt, besser? Nein. Machen es negatives Denken, beschweren und schimpfen besser? Ist es besser, empfohlene Verhaltensregeln zu ignorieren, private Parties zu feiern und so das Risiko Andere anzustecken einzugehen? Nein. Es war ein Jahr. Das ist wirklich mal auszuhalten. Ich möchte wirklich manchen Deutschen in den Arsch treten. Möchte sie mitnehmen auf eine Reise in Länder, in denen die Menschen gerne Distanz einhalten würden, das würde aber heissen, dass sie verhungern. Und ihre Familie mit ihnen. Ich möchte sie mitnehmen in ein Land, in dem es eine Hand voll Beatmungsgeräte für 3 Millionen Einwohner gibt. In ein Land in dem sich kaum jemand medizinische Hilfe leisten kann, sollte es sie überhaupt geben. Also Leute, reisst euch mal zusammen!

    Natürlich ist die Mehrheit immer noch vernünftig und handelt richtig und darüber bin ich sehr froh. Vielleicht wacht der Rest Deutschlands auch noch auf. Aber gerne würde ich all diese Demonstranten mitnehmen auf eine Reise in ein Land, in dem sich die Bewohner deutsche Verhältnisse wünschen würden. Dankbar wären. 

    Dankbar für eine Regierung die sich kümmert. Für die medizinische Versorgung, all das professionelle Fachpersonal. Die Ausstattung. Ich würde diese Menschen, die gegen Masken und ein paar wenige Vorschriften und Verhaltensregeln demonstrieren, ich würde sie wirklich gerne mitnehmen und ihnen zeigen, wie es ist wenn man entscheiden muss, wer der 10 lebensbedrohlichen Kranken an eines der beiden Beatmungsgeräte angeschlossen wird. 

    In ein Land in dem jeden Tag Kinder an Masern sterben weil es keinen Impfstoff gibt, während in Deutschland gegen die Impfpflicht demonstriert wird. Oh Mann, wie gerne würde ich all diese Leugner und Demonstranten mitnehmen auf eine Reise….


    2020 war schwierig. Deprimierend. Frustrierend. Auch für mich. Viele Monate ohne Job, verzweifelt zuhause, da schrammt man wirklich haarscharf an einer Depression vorbei und es kostet Kraft nicht den Mut zu verlieren und jeden Morgen aufzustehen.

    2020. Ein Jahr voller Dramen. Voller traumatischer Ereignisse. Überfüllte Flüchtlingslager. Schlimme Buschbrände in Australien. Brexit. USA tritt aus der WHO aus. Nach George Floyds Tod erreicht die Black lives matter Bewegung endlich die ganze Welt. Putin erhält noch mehr Macht. Furchtbare Explosion in Beirut. Es ist eine endlose Liste.


    2020 war aber nicht nur schwer. Trump hat verloren und die Welt kann aufatmen. Dem Herrn sei Dank! Ich habe eine Woche nicht geschlafen, bis es endlich hundertprozentig feststand. Endlich gute Neuigkeiten! 

    Es wird auf der ganzen Welt demonstriert für etwas Gutes, dass endlich laut über Rassismus gesprochen wird. Es stellen sich Millionen Menschen auf die Seite von George Floyd und machen auf diese fürchterlichen Umstände in den USA und den Rassismus überall auf der Welt aufmerksam. 

    In Deutschland gibt es Unterstützung und Hilfe um die Covid 19 Krise bestmöglich zu überstehen. Ich weiß, es könnte mehr sein, es könnte besser sein. Aber, denkt daran, wir sind eines der wenigen Länder in denen es überhaupt Unterstützung gibt.

    Die Covid Krise sorgt gleichzeitig dafür, dass die Umwelt aufatmen kann und eine Chance zur Erholung bekommt.

    In Pakistan wurde die Covid bedingte Arbeitslosigkeit dazu verwendet 60.000 Arbeitsplätze zu schaffen um Bäume zu pflanzen und so gegen den Klimawandel vorzugehen. 

    In Deutschland boomt das Fahrrad.

    Auch diese Liste ist endlos. Wenn man es sehen will und sich nicht nur von schlechten Nachrichten runterziehen lässt.


    Ein Jahr Deutschland. Ein Jahr zurück im Luxus. 12 Monate wieder in einem Land leben, in dem ich sicher sein kann, wenn mich Covid erwischt, dann habe ich eine Chance, weil ich versorgt werde und weil viele Menschen sich um mich kümmern und mich versorgen. 

    Ein Jahr zurück in der ‚normalen‘ Welt. Ein Jahr Familie und Freunde. Ein Jahr Verschnaufpause. Ein Jahr, dass mich auch manchmal an meine Grenze gebracht hat. Nicht aufzugeben, nicht den Mut zu verlieren. Ein Jahr mit ganz viel Zeit zum Nachdenken. Um dann den Entschluss zu fassen, das ist einfach nicht mein Ding. Nicht mehr. Nicht jetzt. 

    ‚Wir reisen um zu fühlen, dass wir am Leben sind. 

    Zuhause wird immer Zuhause bleiben. 

    Aber wenn wir zurückkommen hat sich etwas in unserem Herzen geändert

    und das verändert einfach alles.’

    Ja, so geht es auch mir. Etwas hat sich verändert und gleichzeitig hat sich ALLES verändert. Ich habe mich entschieden, wieder zurückzugehen. Zurück in ein Leben voller Ungewissheit. Ohne Luxus. Mal mit, mal ohne fließendes Wasser, mal mit, mal ohne Strom. Einen Alltag in dem man kocht, was es im Supermarkt gibt, nicht was man gerne kochen würde. Ein Alltag in dem man sich meistens aber für Fisch entscheidet weil der direkt aus dem Meer auf den Teller hüpft. Ein Leben in dem ich Kleidung auf dem Secondhand Markt kaufe, Kleidung, die ihr liebenswürdigerweise in Container werft. Aber auch ein Land voller Menschen, die jeden Tag dankbar sind. Dafür, dass sie gesund sind, wieder aufstehen und die Sonne sehen, zu essen haben, die Kinder idealerweise sogar in die Schule gehen können. 

    Ein Land, in dem ich wieder viele Kinder werde sterben sehen. Gleichzeitig aber so vielen Menschen helfen kann. Ein Land, das meine Seele wieder durchwirbeln wird. Das mich an den Rand der Verzweiflung bringt und gleichzeitig so glücklich macht wie es sonst kaum jemand oder etwas es schafft. Ein Land, mit den herzlichsten und liebenswürdigsten Menschen der Welt. 

    Ein Land, das mich zum Weinen bringt und gleichzeitig mein Herz vor Freude springen lässt.

    Ist es ratsam jetzt, mitten in der Covid 19 Hochphase, in ein Land mit einer so schlechten medizinischen Versorgung zu reisen? Natürlich nicht. 

    Habe ich Angst? Ja, natürlich mache ich mir Gedanken. Was, wenn ich mich dort anstecke? Gehöre ich zu denjenigen mit kaum Symptomen oder haut es mich richtig um? Und wenn ja, werde ich versorgt? Habe ich die Chance rechtzeitig nach Deutschland zu kommen? Habe ich eine Chance, das zu überleben? Auf all meine Fragen gibt es keine Antwort, ich werde es herausfinden müssen. Ich gehe einfach davon aus, ich stecke mich nicht an. Und wenn, ich habe den Typhus kleingekriegt, Covid werde ich auch irgendwie schaffen. 

    Ich denke auch an meine Lieben zuhause, insbesondere natürlich an meine älteren Familienmitglieder. Die Sorge, dass ihnen etwas passiert wenn ich soweit weg bin, die habe ich sowieso immer. Jetzt wird das natürlich noch verstärkt. 

    Ich habe Bammel, ja. Aber dennoch wage ich den Schritt. Denn größer als meine Bedenken und meine Angst ist meine Freude. All meine Sierra Leonischen Freunde wiederzusehen. Auf eine neue Aufgabe, auf die ich mich so sehr freue. 

    All meine Auswanderer-Freunde sagen das selbe, wenn man einmal weg war, dann geht das Fernweh nicht mehr weg und man hat immer diese Sehnsucht und Unruhe in sich. Stimmt.

    Und dann kommt noch der Job dazu. Hat man einmal für eine Hilfsorganisation gearbeitet ist es wirklich schwer, irgendwann etwas anderes zu tun. Zumindest geht es mir so. Denn auch an noch so schweren Tagen passiert irgendwas Gutes. Etwas, das einen so stolz macht und so glücklich, dass am Ende immer das Gute überwiegt. Man ist so stolz auf die Kinder, die von einem Leben auf der Strasse zu einem Einser-Schüler werden. Dieses Gefühl ist mit nichts auf der Welt vergleichbar. Wenn man ein 10jähriges Mädchen aufnimmt, das gerade noch 12KG wiegt und von Aids und TB gezeichnet ist, näher am Tod als am Leben. Und dieses Mädchen nach einem Jahr lachend vor einem steht und stolz ein gutes Schulzeugnis in die Luft wirft, dann weint man auch. Aber es sind Tränen voller Stolz und Glück. Und auf diese Tränen freue ich mich. 

    Ich werde im Jahr 2021 sicher oft an Deutschland denken und ich werde mir für alle Deutschen wünschen, dass sie mit offenen Augen und Herzen sehen, wie dankbar sie jeden Tag sein dürfen. 

    Obwohl aktuell jede Vernunft dagegen spricht, in eines der ärmsten Länder der Welt zu reisen und sich dem gesundheitlichen Risiko auszusetzen, ich tu es trotzdem. Malaria, Cholera, Typhus, HIV, TB und vieles mehr, da kommt jetzt noch Covid 19 dazu, aber…nichts hält mich auf. 

    Denn…am Ende überwiegt immer das Gute. Zumindest für mich. Ich hoffe, für euch auch!



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